L(i)ebenswert (German Edition)
selbst mit bester Ausrüstung.“
„Was glaubst du, wie lange du für das Floß brauchen wirst?“
„Keine Ahnung. Zwei, drei Tage bestimmt, ich habe wenig brauchbares Material, muss es aber breit genug bauen, damit es auch bei heftigen Stromschnellen nicht umschlagen kann.“
Sie verfielen wieder ins Schweigen. Die Stimmung zwischen ihnen war entspannter als in den letzten beiden Tagen. Ninosh vertraute nicht darauf, dass es so bleiben würde. Dankbarkeit nutzte sich rasch ab, und unerfülltes Begehren machte einen Mann schnell reizbar. Aber er konnte es nicht leugnen, er genoss es, dass er in dieser Nacht ohne Angst einschlafen durfte.
Drei volle Tage hatte Geron an dem Floß gearbeitet. Da er nicht genügend Planken zur Verfügung hatte, war er darauf verfallen, einige Fässer zu nutzen, auf denen er die Holzlatten vernagelt hatte. Herausgekommen war eine schwere Konstruktion aus neun Fässern, von denen Geron sich ausreichende Stabilität erhoffte. Viel mehr als Hoffnung blieb ihm nicht, denn in der starken Strömung der Tibba würde es nahezu unmöglich sein, das Floß zu lenken. Hinzu kam, dass er noch nie ein Floß oder ein Boot geführt hatte. Er wusste, wie riskant es war, was er hier vorhatte und glaubte selbst nicht, dass sie die gesamte Strecke schaffen würden. Wenn wir wenigstens zwanzig, dreißig Meilen damit zurücklegen können und uns damit den Weg verkürzen ... Immer vorausgesetzt, wir überleben es, sobald das Floß strandet oder von Felsen in Stücke gerissen wird ...
Ninosh sagte er nichts von seinen Sorgen. Sie hatten keine drei Worte in den letzten Tagen gewechselt. Mehrmals hatte der junge Mann mit Blicken und Gestik seine Hilfe angeboten, was Geron jedes Mal abgelehnt hatte. Ninosh musste sich erholen und zu Kräften kommen. Beides war schon recht gut gelungen: Er sah weniger elend aus, wurde nicht mehr leichenblass, sobald er sich rührte und winselte nicht mehr ganz so gequält, wann immer er sich aufrichten musste. Trotzdem quälte er sich, die Brüche schränkten ihn stark ein. Ein Stützverband wäre sicherlich hilfreich, den konnte Geron ihm leider nicht bieten. Der Schmerztrank war mittlerweile aufgebraucht, trotzdem schien Ninosh in der vergangenen Nacht einigermaßen ruhig geschlafen zu haben. Es war klar, dass er die Langeweile nicht mehr ewig tolerieren würde, doch im Augenblick schien es Geron das Beste zu sein, ihn zum Nichtstun zu verdammen. Und sich selbst mit so viel Arbeit zu überladen, dass ihm keine Zeit blieb, allzu oft über ihn nachzudenken ... Oder über die Anziehungskraft, die dieser Mann auf ihn ausübte.
Ninosh schaute zu, wie Geron ihre geringe Habe auf dem Floß verstaute. Noch war es am Schiffswrack festgebunden, doch die Tibba zerrte unablässig an ihm, begierig, es mit sich zu reißen. Schweigend nahm er das Ruder entgegen, das Geron ihm mit einem ‚Für den Notfall!’ in die Hände drückte und setzte sich bedächtig auf den Planken nieder. Im Laderaum hatten sich einige Ruder befunden, die der Zerstörung entkommen waren. Er konnte nicht leugnen, wie groß seine Angst war, sich schon wieder den Launen dieses Flusses anvertrauen zu müssen. Das Floß schwankte, in den großen Lücken zwischen den Holzplanken schäumte das Wasser. Es kostete ihn einige Überwindung, diesen so dünn aussehenden Latten sein Körpergewicht anvertrauen zu müssen. Dennoch war er froh, dass es endlich weiterging, gleichgültig wohin. Die Langeweile hatte ihn regelrecht aufgefressen, das unbeständige Wetter machte ihre Lage mit häufigen Regengüssen nicht einfacher und er war es nicht gewohnt, angeschwiegen zu werden, obwohl er schon bei recht maulfaulen Leuten gelebt hatte. Also nickte er lediglich, als Geron ihn fragte, ob er bereit sei, auch wenn sein Magen vor Aufregung krampfte. Er wollte lieber ertrinken als vor Langeweile einzugehen! Geron löste das Tau und nahm seinen Platz ein. Er musste das Floß steuern, so gut es ihm möglich war, es von Untiefen und Strudeln fernhalten, Hindernisse wie etwa treibende Äste fortstoßen und immer dafür sorgen, dass sie in der Mitte der Tibba blieben.
Ninosh hielt das Ruder dermaßen fest in den Händen, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er sollte nur eingreifen, wenn Geron etwas zustieß oder es aus irgendeinem Grund zwingend erforderlich werden würde. Er wusste, dass das nur eine Frage der Zeit war.
Mittlerweile gab es kein Zurück mehr. Die Strömung hatte sie erfasst, sie trieben rasch den Fluss hinab.
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