L(i)ebenswert (German Edition)
nicht leid tat. Wie er es getan hatte zwar schon, aber zu lange hatte er gegen sein Begehren gekämpft, als dass er es wirklich bedauern könnte.
„Es soll nicht wieder geschehen“, murmelte er schließlich.
Nun endlich wandte sich Ninosh ihm zu, mit einem Ausdruck von ärgerlicher Verwunderung.
„Sei nicht albern“, zischte er, „solche Selbstlügen sind sinnlos. Du weißt, wenn man der Versuchung erst einmal nachgegeben hat, wird die Widerstandskraft mit jedem Mal kleiner. Ich danke dir dafür, dass dein Respekt mir gegenüber groß genug ist, mich nicht zu deinem Liebessklaven machen zu wollen. Es wäre leicht gewesen, nachdem wir fern der Zivilisation gestrandet waren. Wenn es dich das nächste Mal überkommt, nimm dir, was ich dir nicht vorenthalten kann. Wäre schön, wenn du anschließend nicht wieder wegläufst.“
Geron wollte hochfahren, ihn durchschütteln, ihn für seine unverschämten Worte bestrafen. Aber er wusste, sie entsprachen der Wahrheit und er hatte sie verdient, darum blieb er mit hängendem Kopf sitzen.
„Es wäre schön, wenn du mich nicht noch einmal stehen lässt“, flüsterte Ninosh kaum hörbar.
Die Doppeldeutigkeit dieser Aussage ließ Geron aufblicken. Ninoshs Gesicht war ihm nah, in seinen Augen loderten intensive Gefühle, für die es keine Worte brauchte. Überwältigt starrte er ihn an – wie war das möglich? Nach allem, was er diesem Mann angetan hatte, all der Verachtung, den Demütigungen, wie konnte er ihn da noch … was auch immer? Ja, Ninosh hatte sich nicht gegen ihn gewehrt, mit keinem Wort seinen Unwillen bekundet, aber das wäre auch mit Resignation oder zu großer Angst zu erklären. Nicht einen Moment lang hatte er geglaubt, Ninosh könnte das Begehren teilen. Es selbst wollen. Nein, das war Unsinn!
Geron fuhr zurück und sprang auf.
„Wir brauchen Essen“, sagte er abgehackt. „Die Vorräte hab ich verloren. Ich hab nichts gesucht, es wird schon dunkel.“
War es Enttäuschung oder Belustigung, was er für einen halben Herzschlag auf Ninoshs Gesicht erkennen konnte?
„Ich habe Fische gefangen.“ Der junge Mann wies auf den Boden neben sich, wo ein Päckchen aus Seerosenblättern lag. Darin befanden sich zwei tote Flußbarsche, wie sich zeigte, als Ninosh sie vorsichtig auswickelte. „Sie haben im flachen Wasser geruht, versteckt von den Zweigen dort.“
„Du musst dich trotzdem sehr schnell bewegt haben, um gleich zwei ohne Hilfsmittel zu erwischen“, erwiderte Geron stirnrunzelnd.
„Ich bin mittlerweile an Schmerzen gewöhnt und ich wusste nicht, ob du zurückkommst.“ Ninosh zuckte die Schultern und drückte ihm dann die Fische in die Hand. „Ohne Messer und Feuer wäre es ein unschönes Mahl geworden. Viel Spaß beim Ausnehmen.“
Er rechnete halb damit, dass Geron zu seinem alten Verhalten zurückkehren und ihn für seine Frechheit bestrafen würde, aber der wandte sich schweigend ab und setzte sich in einigem Abstand von ihm nah ans Wasser, um die Fische abzuschuppen und auszunehmen. Ninosh überlegte, ob er Holz für das Feuer sammeln sollte. Da sein Körper allerdings noch immer wütend protestierte, weil er ihn rücksichtslos gezwungen hatte, Fische zu jagen, blieb er, wo er war. Außerdem hatte der Herr Bannerführer ihm nicht erlaubt, noch mehr Initiative zu zeigen, um seinen Teil für ihr Überleben beizutragen. Bisher war er ja auch bloß wie ein Sack Mehl mitgeschleppt worden!
Müde lehnte er sich gegen den Baumstamm. Wenn er wenigstens wüsste, was er gerade empfand. Wut, Enttäuschung, Hoffnung, Erleichterung, alles wirbelte ihn ihm durcheinander.
Er hatte stundenlang gewartet, ob Geron zurückkehren würde. Ihm zu folgen war unmöglich, Ninosh konnte keine Spuren lesen und war noch nicht stark genug, um lange Strecken zu laufen. Irgendwann hatte er aufgegeben und weitere endlose Stunden damit verbracht, im Wasser zu stehen und auf Beute zu lauern. Es hätte ihm sicherlich zwei Stunden Mühsal und Schmerz erspart, wäre er mit einem Barsch zufrieden gewesen, aber die Hoffnung war geblieben, dass Geron sich besinnen würde, ihn nicht im Stich zu lassen. Und sei es nur, um seine Aufgabe zu erfüllen, den Feind zum Heerführer zu bringen.
Nach dem Essen hockten sie schweigend nebeneinander. Es fühlte sich erdrückend an, diese Stille, was in den vergangenen Tagen und Nächten nie der Fall gewesen war. Geron wünschte, er hätte etwas zu sagen. Oder Ninosh würde anfangen ihn mit Vorwürfen zu überhäufen, so wie er es
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