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Lieber Dylan

Lieber Dylan

Titel: Lieber Dylan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siobhan Curham
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rufen konnte. Aber da war überhaupt kein Einbrecher. Als ich am Badezimmer ankam, spähte ich durch den Türspalt und sah, wie der Ton-Zerstörer über dem Waschbecken hing und Schimpfwörter ausstieß, die ich hier nicht wiederholen werde, weil sie zu hässlich waren, sogar für Frauen, die sich einig sind, dass Fluchen manchmal unvermeidlich ist. Dann spähte ich an der Tür vorbei auf die andere Seite des Badezimmers und sah, dass überall auf dem Boden Glasscherben lagen. Ich muss laut eingeatmet haben, denn das Nächste, was ich weiß, ist, dass der Ton-Zerstörer aus dem Badezimmer stürzte, knallrot im Gesicht und mit der geschwollenen Ader auf seiner Stirn, die immer, wenn er Stress hat, heraustritt und sich bläht wie die Kehle bei einem Frosch. »Wie lange stehst du schon hier?«, brüllte er mich an, und dann nannte er mich ein »neugieriges kleines Rotzbalg«, was auf so vielen Ebenen einfach falsch war (wie Jessica es ausdrücken würde). Zuerst einmal war ich nicht neugierig, ich habe mir Sorgen gemacht. Zum Zweiten bin ich nicht klein, ich bin vierzehn Jahre alt, und in manchen Ländern, wie zum Beispiel Afrika oder so, wäre ich jetzt schon verheiratet und hätte drei Kinder   – auch wenn ich echt froh bin, dass ich es nicht bin! Und zum Dritten bin ich kein Rotzbalg. Ein Rotzbalg verlangt immer, seinen Kopf durchzusetzen, und ich mache das nie. Ich finde mich immer mit allem ab, nur um den Frieden zu erhalten. Wenn ich ein Rotzbalg wäre, hätte ich verlangt, zu meinem Theater-Workshop gehen zu dürfen, statt zu Hause zu bleiben und ihm sein dämliches Frühstück zu machen. Also senkte ich nur den Kopf und sagte: »Ichbin gerade erst gekommen. Ich wollte sehen, ob mit dir alles in Ordnung ist.« Du siehst, ich habe immer noch versucht, nett zu ihm zu sein. Aber natürlich machte das keinen Unterschied. »Aha, so war das also?«, erwiderte er. »Na gut, und würdest du mir jetzt netterweise mal sagen, warum wir kein verf***tes Wasser haben?« Zuerst konnte ich es nicht glauben. War er deshalb so wütend? Hatte er wirklich das Badezimmer kurz und klein geschlagen, weil wir kein Wasser hatten? Ich spähte an ihm vorbei in den Raum, um sicherzugehen, dass ich mir nichts eingebildet hatte, aber die Scherben lagen immer noch auf dem Boden. Ich wünschte allerdings, ich hätte das nicht gemacht, denn als Nächstes zog er mich ins Badezimmer, und inzwischen blutete seine Hand wirklich schlimm, und er sagte: »Du willst dir das mal genauer angucken? Prima, warum machst du es dann nicht sauber?« Jetzt, wo ich drinnen war, konnte ich sehen, woher die ganzen Scherben kamen   – er hatte die Duschtür eingeschlagen. Mir war ein bisschen übel, aber ich wollte nichts sagen oder ihn auch nur ansehen, also fing ich an, die Scherben aufzusammeln und sie auf den Wäschekorb zu legen. Und die ganze Zeit über wusste ich, dass er da immer noch stand, denn ich konnte ihn atmen hören, total komisch, als wäre er gerade ein Rennen gelaufen oder so was. Dann hörte ich einen wimmernden Laut von unten, und mir fiel ein, dass Michaela draußen auf der Veranda saß. Aber es war in Ordnung, denn der Ton-Zerstörer hörte sie auch und ging sofort nach unten. Ich hatte wirklich Angst, dass er wütend auf sie sein würde, weil sie ein Geräusch gemacht hatte, aber das war er nicht. Ich schlich mich auf den Treppenabsatz und hörte, wie er in einer netten, sanften Stimme sprach, die er extra für sie reserviert, und er erzählte ihr, dass eine total riesige Spinne im Badezimmer gewesen war und dass sie giftig war und er Angst gehabt hatte, sie könnte uns töten. Ist es nicht komisch, wie man mit den richtigen Worten die Wahrheit einer Sache total verändern kann? In diesen wenigen Sätzen wurde der Ton-Zerstörer vom rasenden Duschen-Zertrümmerer zum heldenhaften Kinder-Retter. Er war so überzeugend   – wenn ich das Badezimmer nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte ich ihm selbst geglaubt. Er hat nicht nur einetotal andere Stimme für Michaela   – er ist ein total anderer Mensch für sie. Ein Held, kein Tyrann.
    Nachdem ich die Scherben beseitigt hatte, wollte ich wirklich nicht nach unten gehen. Meine Hände zitterten total, und in meinen Augen standen Tränen. Aber es wurde später und später, und ich musste zum Theater-Workshop gehen, also brachte ich die Scherben in einer alten Plastiktüte nach unten in die Küche. Der Ton-Zerstörer saß am Tisch, hatte sich ein Geschirrhandtuch um die blutende Hand

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