Lieber Onkel Ömer
Marzipanschweine
usw. Es ist ja allgemein bekannt, dass die Deutschen sich nie mit einem schönen Ding begnügen. Das beste Beispiel: Die bauen
weiterhin fünfzig andere Autos, obwohl sie bereits so was Geniales wie den Ford-Transit haben.
Na ja, was ich eigentlich sagen wollte, ist, wenn man von |186| diesen ganzen Weihnachts-Leckereien wie Lebkuchenherzen, Zimtsternen, Pfefferkuchen, Dominosteinen, Makronen, Kokosflocken,
Mandelplätzchen, Berliner Brot, Weihnachtsstollen, Schoko-Nikoläusen, Vanillekipferln, Marzipanschweinen usw. kiloweise in
sich reinstopft, dann verdrückt man genauso viele Kalorien und wird genauso fett, als wenn man zentnerweise Baklava gegessen
hätte.
Du weißt also, was Weihnachten ist, aber wahrscheinlich fragst Du Dich schon die ganze Zeit, weshalb ich Dir jetzt, am 1.
September, einen Brief über Weihnachten schreibe, nicht wahr?
Nein, mach Dir keine Sorgen, dass ich vielleicht irre im Kopf geworden bin. Vielmehr ist die deutsche Wirtschaft wieder daran
schuld. Diese Halsabschneider stopfen in ganz Alamanya jetzt schon sämtliche Kaufhäuser mit völlig überflüssigen Weihnachtsartikeln
voll, als wäre Weihnachten schon übermorgen – als wäre Jesus eine Frühgeburt gewesen.
Ganz Deutschland funkelt, blinkt, flackert und flimmert bereits jetzt in allen möglichen Farben – das ganze Brimborium fängt
also schon vier Monate vor Weihnachten an! Moslems müssen vor dem Ramadanfest einen Monat hungern, Christen müssen vor dem
Weihnachtsfest vier Monate diesen Terror ertragen.
Überall sieht man nur noch Schoko-Nikoläuse, Weihnachtsstollen und allen möglichen Tannenbaum-Schnickschnack. Ich könnte heute
schon ohne Probleme Weihnachten feiern, und es würde mir an nichts fehlen – ganz im Gegenteil, jetzt ist wenigstens noch nichts
ausverkauft!
Ich habe mal in der Zeitung gelesen, dass die echten |187| Weihnachts-Dschankies jeden Tag Weihnachten feiern. Jeden Abend, wenn sie von der Arbeit kommen, zünden sie ihren Tannenbaum
an, nippen an ihrem Glühwein, legen die Weihnachts-CD rein und singen laut mit:
»Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie grün sind deine Blääätteeerr!«
Ich glaube, dass diese Weihnachts-Spinner nur die Vorboten sind. Ich habe den starken Verdacht, dass die deutsche Industrie
vorhat, uns alle in den Wahnsinn zu treiben.
Früher hatte kein Mensch ein Auto, jetzt hat jede Familie zwei Stück davon. Früher hatte kein Mensch einen Fernseher, jetzt
stehen in jedem Zimmer zwei. Früher hatte kein Mensch einen Computer, jetzt sind sogar die Notizbücher zu Computern geworden.
Früher hatte kein Mensch Telefon, jetzt haben alle für jedes Ohr eines, in das sie ständig reinbrüllen. Und bald wird jeder
jeden Tag zweimal Weihnachten haben und jeden Abend zur Melodie von ›Oh Tannenbaum‹ zwei Schoko-Nikoläuse und drei Marzipanschweine
köpfen. Und je jünger und unerfahrener die Menschen sind, desto einfacher schnappt diese Falle der Gehirnwäsche zu. Das beste
Beispiel für diesen Wahnsinn, in den wir sehenden Auges hineinschlittern, ist doch meine kleine Tochter Hatice. Sie hat schon
letzte Woche damit angefangen, jeden Tag Nikoläuse und Schweine zu köpfen – und dazu auch noch ihre Mutter und ihren armen
Vater.
Aber dank eines raffiniert ausgeklügelten Überwachungssystems innerhalb unserer Familie (es gab also doch etwas Gutes, was
man von der bankrotten DDR übernehmen konnte) habe ich einen Brief von Hatice in die Hände bekommen, der für den Weihnachtsmann
bestimmt war. |188| Wenn dieser unglaubliche Weihnachtszirkus bereits im September losgeht, darf man sich auch nicht wundern, wenn die Kinder
jetzt schon an den Weihnachtsmann schreiben – unserer Werbeindustrie sei Dank.
Lieber Onkel Ömer, unten kannst Du schockiert selber lesen, wie der ganze Industrie- und Medienirrsinn unserer Zeit selbst
aus einigermaßen vernünftigen kleinen Kindern im Geiste Elternmörder macht!
Hier ist der Brief von unserem Frechdachs im Wortlaut:
»Mein lieber Onkel Weihnachtsmann, wie geht’s Dir? Ich hoffe, Dir geht’s gut! Und wie geht’s Deinen Rentieren dort oben am
kalten Nordpol? Ich hoffe, die schaffen es diesmal, Deine vielen schönen Geschenke bis zu mir zu schleppen!
Mein lieber Onkel Weihnachtsmann, mir geht’s leider nicht so gut, wie Du gleich erfahren wirst. Ich weiß, dass Du mich in
vier Monaten besuchen wirst, um mir meine Weihnachtsgeschenke zu überreichen. Ich
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