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Lieber Onkel Ömer

Titel: Lieber Onkel Ömer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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überbieten. Nicht dass Du denkst,
     ich rede vom WM-Finale oder so.Nein, wir fiebern jedes Jahr erst mal dem obligatorischen Wettbewerb entgegen, bei dem die
     Sitzplätze für die Bundesliga-Spiele vor dem riesigen Plasma-Fernseher in unserem Café vergeben werden.
     
    Lieber Onkel Ömer, die Mutter aller Fragen heißt also, wer wird die tollen Stühle ergattern, auf denen man unseren Helden
     in kurzen Hosen ein Jahr lang ganz nah sein darf?
    Die Zuschauerplätze in unserem Café sind grob in zwei Kategorien aufgeteilt: Ehrenplätze und Ehrlosenplätze. Ehrenplätze sind
     die fünf Stuhlreihen, die direkt vor dem Fernseher aufgestellt werden. Die mittleren Reihen sind nur ganz normale Plätze,
     bei denen keine Ehre im Spiel ist. Die sind weder ehrenvoll noch ehrlos, ganz normale, stinklangweilige Stühle mit vier Beinen
     halt. Die Stühle ganz hinten und die Fensterbänke sind unehrenhafte Plätze |177| , wo der Pöbel sitzt oder steht. Deren Kommentare werden aus Prinzip nicht gewürdigt. Nur die Leute auf den Ehrenplätzen,
     also die VIPs, finden Beachtung. Ob sie nun den Schiedsrichter beschimpfen oder den gegnerischen Verteidiger, sie werden von
     allen Anwesenden wahrgenommen. Entweder man nickt zustimmend oder man sagt: »Du Idiot, du hast doch keine Ahnung. Das war
     doch eine Blutgrätsche! Wenn du nicht mal das siehst, dann geh schnell zum Augenarzt!« Aber wenn eine Bemerkung oder ein Schimpfwort
     von den billigen Plätzen ertönt, bekommt derjenige bestenfalls zu hören: »Ruhe da!« Normalerweise wird der Störenfried nicht
     mal wahrgenommen.
    Schon seit einer Woche finden in unserem Männercafé jeden Tag mehrere Ausscheidungskämpfe in verschiedenen Disziplinen um
     diese ehrenhaften Stühle in den ersten fünf Reihen statt.
    Alle meine Kumpels sind natürlich da, und es wird erbittert und mit allen Tricks gekämpft. Kein Mensch arbeitet mehr. Wir
     müssen natürlich immer eine Woche vor Beginn dieser Ausscheidungskämpfe in der Fabrik Urlaub nehmen, um uns intensiv auf diese
     alles entscheidende Prüfung vorzubereiten.
    Vorgestern war WM-Historie zwischen 1950 und 1990 dran, wobei ich von zwanzig Fragen nur bei dem Ersatztorwart der siegreichen
     deutschen Mannschaft von 1954 danebenlag. Gestern waren die Trainer aller WM-Mannschaften in dieser Zeit dran. Wenn ich sage
     »alle«, dann meine ich auch alle. Also inklusive aller Versager-Trainer aus fünf Kontinenten, die mit ihren Flaschenmannschaften
     nicht mal die Qualifikation geschafft haben. Die Fragen werden natürlich höchstpersönlich von Mahmut ausgesucht |178| und gestellt. Das ist der Besitzer des türkischen Cafés, das offiziell ja ein deutsch-türkischer Kulturverein ist.Jedenfalls
     ist es amtlich so eingetragen. Aber seit 30 Jahren hab ich dort noch keinen einzigen Deutschen gesehen; und erst recht keinen
     mit Kultur. Aber irgendwie muss man ja versuchen, ein paar Steuern zu sparen, nicht wahr?
     
    Heute ging’s um Fußballersprüche. Ich war heilfroh, dass mein Arbeitskollege Ahmet die erste Frage beantworten musste. Mein
     Lampenfieber hatte ich nämlich trotz fünf Gläsern Tee immer noch nicht abgelegt.
    Mahmut hatte alle Anwesenden sehr souverän um Ruhe gebeten und fragte dann meinen Arbeitskollegen Ahmet:
    »Welcher Fußballer sagte: ›Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!‹?«
    Für mich wäre das natürlich ein Kinderspiel gewesen. Aber in Ahmets flackernden Augen sah ich, dass er stark am Zweifeln war.
    »Basler, Matthäus oder Möller«, stotterte er mit hochrotem Kopf und entschied sich zum Schluss leider doch für den Richtigen:
     Andreas Möller nämlich.
    Mahmut notierte sich diese Antwort und machte mit der Prüfung weiter.
    »Hasan, du bist dran, von wem kommt der Spruch: › Wir haben uns gut aus der Atmosphäre gezogen‹?«, fragte er meinen Kumpel
     aus Halle 4.
    »Kinderleicht«, lachte Hasan, »Wolfgang Wolf natürlich!«
    Ich merkte, dass Hasan sich auch sehr gut vorbereitet hatte. Er könnte mir schon große Schwierigkeiten bei der Platzvergabe
     machen. Danach war Nedim dran.
    |179| »Nedim, von wem stammt der legendäre Satz: ›In der ersten Halbzeit haben wir ganz gut gespielt, in der zweiten fehlte uns
     die Kontinu…, äh, Kontuni…, ach, scheiß Fremdwörter: Wir waren nicht beständig genug‹!«
    Nedim, der Angeber, schaute natürlich erst mal siegreich in die Runde und rief dann sehr überheblich:
    »Mahmut, es ist doch peinlich, dass ich so eine einfache Frage beantworten

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