Lieber Onkel Ömer
Zunge.
»Mehmet, das ist eine riesengroße Sünde! Wir werden deinetwegen noch alle in der Hölle braten«, rief ich völlig fassungslos.
»Aber nicht, wenn man in einer Notlage steckt und nach |232| islamischen Regeln schlachtet«, tat er so, als wäre er der Islamexperte schlechthin.
Verärgert stieg ich in meinen Ford-Transit und hab den Schlachtermeister Rudolf und die beiden Schweine dort einfach stehen
lassen!
Dieses Jahr haben wir also kein Schaf geschlachtet und auch kein Schwein.
Meine feministische Tochter Nermin meinte eben, dass das auch keine so schlechte Tat sei, einem armen Tier das Leben zu schenken.
Ich bin hier von lauter Ungläubigen umzingelt, musst Du wissen. Und damit meine ich keineswegs nur die Deutschen!
Lieber Onkel Ömer, ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die
erfahrenen Hände und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.
Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren
mit viel Liebe die Augen.
Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass unser ganzes Dorf zum Opferfest
ein einziges Schlachtfeld ist und kein Schaf sich bei näherem Hinsehen als ein Schwein entpuppt.
Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem eiskalten Alamanya
|233| PS: Lieber Onkel Ömer, obwohl das nun schon über zwei Wochen her ist, redet Eminanim immer noch ständig von diesem Zwischenfall
mit der fremden Frau, ich meine nicht die Ümmüyanim (Ulviyanim), sondern die Frau, die mir mitten auf der Straße um den Hals
gefallen ist. Sogar die Kinder hetzte sie gegen mich auf:
»Ihr Lieben, ihr müsst jetzt ganz stark sein. Stellt euch lieber schon mal seelisch drauf ein, dass euer untreuer Vater noch
ein Rudel anderer, unehelicher Stiefgeschwister produziert hat«, brüllte sie durch die Wohnung und machte wie immer aus einer
Mücke einen Elefanten. »Die Ilse war eben meine Studienkollegin, hast du was dagegen?«, sagte ich dann genervt.
Nachdem sich mein kommunistischer Sohn Mehmet die beiden Versionen der Geschichte angehört hatte, brachte er noch eine weitere
These ins Spiel, weshalb ich am helllichten Tag von wollüstigen Frauen umschwärmt werde.
»Erst gestern ist doch wieder ein Ausländer fast zur Tode geprügelt worden«, sagte er, »am folgenden Tag müssen halt viele
ahnungslose Migranten die skurrilsten Sympathiebekundungen über sich ergehen lassen, weil sie zufällig die Opfer der von Gewissensbissen
geplagten Deutschen werden.«
»Aber wieso nennt diese Frau ihn dann Ali?«, fragte Eminanim.
»Ganz einfach, weil für die Deutschen alle Türken Ali oder Fatima heißen«, argumentierte Mehmet.
»Mehmet hat recht. Schließlich heißen ja für uns auch alle Deutschen Hans oder Helga«, unterstützte ich sofort meinen Sohn.
|234| Allerdings traue ich der Sache ja selbst immer noch nicht so ganz – natürlich aus anderen Gründen als Eminanim.
Verdanke ich die öffentliche Knutscherei wirklich meinem tollen Aussehen, Ilses Kurzsichtigkeit, den blöden Nazis oder doch
Ümmüyanims (Ulviyanims) Geheimdienst? Ich werde wohl nie wieder richtig gut schlafen. Ich hoffe, Dir geht es nicht genauso.
Gute Nacht!
Die Integrationswoche
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, letzten Montag hat in Alamanya die Integrationswoche begonnen. Ich kann mir schon vorstellen, dass Du bei
dem Wort »Integration« total perplex aus der Wäsche schaust, wie Deine hübsche Kuh Pembe auf der Wiese, wenn sie die vorbeifahrenden
Züge anstarrt!
Ich kann das nämlich sehr gut nachvollziehen, mir ging es hier bis vor einigen Jahren genauso. Jeder faselte irgendwas Schwachsinniges
daher, aber kein Mensch wusste genau, was Integration ist, und den Politikern war es in Wirklichkeit ohnehin egal. Die konnten
sich nämlich nicht mal einigen, wie sie uns, also die zu Integrierenden, nennen sollten. Die Wortwahl ging immer damit einher,
wie tief ihre Parteien in den Umfragen gesunken waren:
Um Dir nur einige Beispiele zu nennen, da gab es »Gastarbeiter«, »Ausländer«,
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