Lieber Onkel Ömer
Ali, du musst mich doch erkennen. Ich bin’s, die Ilse aus dem Reisebüro!«, sagte sie.
»Sehen Sie, ich heiße gar nicht Ali! Sie verwechseln mich, mein Name ist Osman«, rief ich.
»Osman, du hast offensichtlich deiner Freundin deine wahre Identität verheimlicht! So wie alle feigen Ehemänner, die fremdgehen«,
keifte meine Frau auf Türkisch.
»Oh, wenn das so ist, dann bitte ich natürlich um Verzeihung. Schönen Tag noch!«, meinte die fremde Frau und ging. Und hinterließ
einen riesengroßen Trümmerhaufen. »Osman, das war aber schlecht geplant von euch beiden, |223| deshalb wolltest du also nicht, dass wir dich abholen«, giftete Eminanim.
»Bei Allah, diese Frau hat mich nur mit irgendeinem blöden Ali verwechselt!«, brüllte ich.
»Keine Frau knutscht einen dämlichen Kerl wie dich so leidenschaftlich, wenn sie nichts mit ihm am Hut hat!«, beharrte Eminanim
auf ihrer Fremdgeher-Theorie. »Frau, jetzt spinn doch nicht rum! Sie hat gedacht, ich wäre Ali, hat sich entschuldigt und
ist friedlich weitergegangen. Damit ist die Geschichte für mich zu Ende«, sagte ich.
Aber wie ich Eminanim kenne, wird es natürlich nicht dabei bleiben. Spätestens morgen wird sie mir diese Geschichte mit der
verwirrten Frau wieder auftischen. Aber weshalb hat die fremde Frau mich denn auf offener Straße geküsst? Verdanke ich es
meinem tollen Aussehen, ihrer Kurzsichtigkeit oder war sie vielleicht eine Kollegin Ümmüyanims (Ulviyanims) vom Geheimdienst
und hat mir einen Mikrochip unter die Haut implantiert?
Ich werde heute wieder nicht schlafen können – schlaf Du wenigstens gut!
Das Opferfest
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, wie Du ja selbstverständlich weißt, hat das Opfern eines Tieres nach islamischen Regeln sehr viele Vorteile.
Und es kann zu jeder Zeit und zu jedem Zweck ausgeführt werden, nicht nur zum Opferfest. Das Konzept ist wirklich sehr sinnvoll
und in jeder Hinsicht nur positiv – außer für das auserwählte Tier natürlich! Aber soviel ich weiß, soll das ja auch in den
Himmel kommen – in den Hammel-Himmel!
Das Schächten am Tag des Opferfestes hat selbstverständlich ganz andere Funktionen. Es dient dem Zweck, dass arme Leute auch
mal Fleisch zwischen die Zähne bekommen sollen, die sich so was ja das ganze Jahr über sonst nicht leisten können. Das geschlachtete
Tier wird nämlich unter den bedürftigen Menschen in der Straße verteilt und ermöglicht somit dem edlen Spender durch diese
gute Tat einen aussichtsreichen Platz im Paradies.
In Deutschland aber, wo sich jeder jeden Tag zentnerweise |225| Fleisch bis zum Abwinken leisten kann, hat es lediglich den Vorteil, dass man weniger Gammelfleisch essen muss, was ja aber
eigentlich auch keine minder gute Tat ist.
Lieber Onkel Ömer, bei Euch in der Türkei läuft das Opferfest natürlich viel zwangloser und lockerer ab. Da baumeln in jeder
Straße an allen Bäumen kopflose Tiere rum und bluten um die Wette. Dicke Männer mit langen Schnurrbärten und noch längeren
Schlachtermessern in der Hand beherrschen das Straßenbild. Viele Mütter sperren ihre kleinen Kinder in der Wohnung ein, weil
sie in ihrem zarten Alter den guten Zweck dieses Massakers da draußen noch nicht richtig einschätzen können. Dabei haben die
Kinder in der Türkei noch Riesenglück gehabt, dass der Prophet Ibrahim vor ein paar tausend Jahren in letzter Sekunde noch
ein kleines Lämmchen vom Himmel geliefert bekam, als er gerade seinen Sohn schlachten wollte. Kinderschächten wäre vermutlich
ziemlich problematisch geworden in Alamanya. Seltsamerweise bekommen aber die ganzen Dönerverkäufer hier deswegen nie richtig
Ärger. Denn ich lese immer an den Schaufenstern von türkischen Imbissen: »Rinderdöner 5 Euro«, »Hühnerdöner 4 Euro« und »Kinderdöner
2,50 Euro«. Nur bei Gammelfleisch bekommen sie ab und zu Probleme. Aber wenn sie genug Knoblauch reinhauen, merkt das ohnehin
keiner!
Dass die kleinen türkischen Kinder den guten Zweck des Opferfestes nicht einschätzen können,das ist ja gerade noch so verständlich,
aber dass die ganzen erwachsenen Deutschen es auch nicht kapieren, obwohl sie doch alle alt genug |226|
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