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Lieber Onkel Ömer

Titel: Lieber Onkel Ömer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sind, das ist wirklich nicht zu fassen! Offenbar sind sie schon zu alt!
    Letztes Jahr musste ich das hübsche Schaf, das ich vor dem Opferfest zum Schlachten gekauft hatte, auf unserem Balkon verstecken,
     da unser Keller restlos überfüllt war.
    Eminanim hatte zur Tarnung für unser Schaf einen bildhübschen, roten Ganzkörper-Wollanzug mit passender Mütze gestrickt.
    Hatice kümmerte sich sehr liebevoll um das kleine Tier.
    Immer wenn das Schaf zu einem herzzerreißenden, jämmerlichen »Määääääääh, määääääääähh« ansetzte, übertönte ich es mit einem
     brüllend lauten »Waaaauuww, waaaauuuwww, waaauuuuwwww!«
    Worauf meine kleine Tochter sofort antwortete:
    »Sei ruhig, Rambo! Sitz, sitz! Ich hab gesagt, mach Sitz!« Meine Frau Eminanim rief anerkennend aus der Küche: »Klasse, Osman,
     ich bin begeistert. Du kannst inzwischen besser und lauter bellen als der Dackel Tina von Oma Fischkopf.«
    Ich freute mich natürlich, dass meine Bemühungen bei der höchsten Instanz in unserem Hause solch große Zustimmung fanden,
     und bellte deshalb noch lauter:
    »Waauuaaww, waaauuwwaaw, waaauuwwaauuuw!!«
    Ach ja, lieber Onkel Ömer, das muss ich Dir auch noch erklären: Die deutschen Hunde bellen selbstverständlich auf Deutsch
     und machen »wau wau« und nicht »hav hav« wie die türkischen. Die Lämmer sagen auf der ganzen Welt das Gleiche:
    »Määäääääh!«
     
    |227| Lieber Onkel Ömer, Du kratzt Dich jetzt bestimmt am Kopf und versuchst, diese verworrene Situation irgendwie zu verstehen.
     Wir waren also gezwungen, das arme Schaf unter nicht ganz artgerechten Umständen auf unserem Balkon gefangen zu halten, weil
     wir selber unglückliche Gefangene weltlicher und religiöser Gesetze sind.
    Der islamische Glaube verlangt von uns, dass wir zum Schlachtfest ein Tier opfern, das möglichst groß und möglichst teuer
     sein soll.Die Hausordnung der deutschen Wohnungsbaugesellschaft verbietet sogar das Grillen auf dem Balkon – Schafe schächten
     sowieso.
    Deshalb blieb uns nichts anderes übrig, als unser Opferlamm als einen süßen kleinen Hund mit vielen Locken zu tarnen und mit
     dem Schlachten so lange zu warten, bis alle Nachbarn wegguckten. Wenn uns die gute Tat gelingen würde, hätten wir gute Aussichten,
     im Jenseits in der besten Gegend vom Paradies zu landen. Aber wenn unser Schaf enttarnt würde, bekämen wir im Diesseits, hier
     im Karnickelweg 7b, auf der Stelle die Kündigung zugeschickt.
     
    Aber gerade am denkwürdigen kalten Morgen des Opferfestes schien zu allem Unglück Frau Krummsack, die Ehefrau von unserem
     Hausmeister, irgendwas gerochen zu haben, obwohl wir das Schaf noch nicht geschlachtet hatten, geschweige denn gebraten! Plötzlich
     hockte sie nur noch auf ihrem Balkon rum und schaute die ganze Zeit mit dem Fernglas in der Hand interessiert zu uns rüber.
    Damit sie mit dieser Glotzerei endlich aufhörte, rief ich zu ihr rüber:
    »Frau Krummsack, wundern Sie sich nicht! Das ist kein |228| deutscher Schäferhund, sondern ein albanischer Schafshund! Eine sehr seltene Rasse, die sind sogar mehrsprachig. Manchmal
     sagen sie ›määääh määäääh‹ anstatt ›waauu waaauu‹.«
    Dann rannte ich sofort ins Wohnzimmer, wählte ihre Telefonnummer, und sobald sie in ihre Wohnung reinging, lief ich schnell
     wieder mit meinem Rasiermesser auf den Balkon. Als dann aber Hatice kapierte, was sich gerade auf dem Balkon abspielte, stürmte
     sie hinter mir her und brüllte, so laut sie konnte:
    »Hiillfeeee, hiilfeeee! Mördeeer, Mööörrrderrr!«
    Lieber Onkel Ömer, kannst Du Dir vorstellen, in was für einer unmöglichen Lage ich mich an so einem heiligen Tag plötzlich
     befand?
    Ich musste daraufhin allen unseren Nachbarn in mehreren Sprachen erklären, dass sich die Kleine schon frühmorgens die unmöglichsten
     Horrorfilme reinzieht und deshalb ziemlich verwirrt ist. Nur meine polnischen Nachbarn schauten danach immer noch verständnislos
     zu mir. Mein Polnisch lässt leider immer noch zu wünschen übrig, wie Du weißt.
    »Papa, kannst du dein Opferfest nicht feiern, ohne meinen armen, unschuldigen Freund zu ermorden?«, schrie Hatice mich vor
     allen Leuten mit Tränen in den Augen an.
    Hatice hätte sich die ganze Schreierei und Heulerei eigentlich sparen können. Ich glaube, ich tauge sowieso nicht zum Tiermörder.
    Ich lief also sofort zum türkischen Café, um mir einen anständigen Schlachter zu besorgen, der im Gegensatz zu mir in der
     Lage war, auch

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