Lieber Osama
sauberen Klamotten gerade das Fell sträubte. Nach dem 1. Mai waren alle fickrig, nicht mehr bloß ich.
Aber dann kamen der Sommer und die Hitze, und alle kriegten sich wieder ein. Wer am 1. Mai nicht zufällig einen Mann und einen Sohn verloren hatte, für den lag der Tag längst weit zurück. Die Leute dachten nicht mehr darüber nach, wie kurz ihr Leben eigentlich war, sondern interessierten sich beispielsweise wieder für Autos.
- Jetzt guck sich einer das an, sagte Terence Butcher. Ein Scheiß-VW ist Zugwagen des Jahres geworden.
Wir waren in seinem Büro, und das Caravan-Clubmagazin war soeben eingetroffen, zusammen mit einem Stoß Berichte über neue Terrorverdächtige. Die Zeitschrift öffnete er zuerst, was mich ein bisschen wunderte, Osama, denn meiner bescheidenen Meinung nach hatte er einen Beruf, wo man erst mal den weltweiten Dschihad abarbeitet, ehe es zu den angenehmen Seiten des Lebens geht, aber man lernt eben nie aus. Terence Butcher stand hinter seinem Schreibtisch und hielt die Zeitschrift so, dass ich den Artikel sehen konnte.
- Das ist aber schön, Sir.
- Schön?, sagte er. Was meinst du mit schön? So was wie diese Kraut-Karre kannst du doch nicht fahren. Nein, dann sogar lieber einen Vauxhall Cavalier, da hast du bergauf wenigstens noch Leistung. Außerdem muss man nicht jede blöde Verteiler kappe gleich in Dresden bestellen.
- Tja, keine Ahnung, Sir. Um Autofragen hat sich immer mein Mann gekümmert.
- Deshalb sag ich es dir ja. Nicht geschenkt würde ich so einen VW nehmen. Ich hätte nicht übel Lust, denen einen geharnischten Leserbrief zu schreiben. Wie sieht’s aus, habe ich an diesem Morgen noch irgendwo ein Zeitfenster von 10 Minuten?
- Nein, Sir. Ich hab dich den ganzen Tag für den islamischen Terror verplant. Schmeckt der Tee gut so?
Terence Butcher schaute in seinen Becher und nickte.
- Ja, sagte er, tut er, sogar verdammt gut. Ich weiß nicht, wie ich das Gebräu runtergekriegt habe, das meine letzte Sekretärin immer gemacht hat.
- Du hast es ja auch nicht runtergekriegt, sondern die Blumen damit gegossen. Und die sind dann alle eingegangen.
Terence Butcher lächelte mir zu, und ich lächelte zurück. Ein Blick, der mir etwas zu lang war.
- Seit wann bist du jetzt bei uns?, fragte er darauf.
- 2 Monate.
- Und es macht dir immer noch Spaß?
- Ja. Es gefällt mir hier. Ich bin froh, was Nützliches zu tun. Außerdem lenkt es ab von… du weißt schon.
- Ja, sagte Terence Butcher. Du bist permanent am Rödeln. Ein richtiger Wirbelwind. Keine Minute, die du nicht verplant hast. Würde mich wundern, wenn irgendwo hier im Büro auch nur das kleinste Fitzelchen Papier rumläge, das da nicht hingehört.
- Naja, ich muss auch rödeln, es geht nicht anders. Der Arzt verschreibt mir kein Valium mehr.
- Oh, sagte er. Und wie kommst du so am Abend zurecht?
- Ich komme schon zurecht, danke.
Um ehrlich zu sein, Osama, schlich ich mich durch den Hintereingang in meine Wohnung, wo ich möglichst keinen Lärm und erst recht kein Licht machte, damit Jasper Black nicht sah, dass ich zu Hause war, und womöglich vorbeikam.
Im Sommer wurde es in unserer Wohnung richtig heiß, also ließ ich die Fenster offen, damit wenigstens ein kleines Lüftchen hereinkam. Natürlich kein Vergleich mit deiner gesunden Bergluft, Osama. Es roch halt sehr nach East-End-Sommer, also nach Haschisch und Autoabgasen, aber Lüftchen ist Lüftchen, wie mein Mann immer sagte. Das Lüftchen blähte die Gardinen, Schatten huschten über die Wand, und wenn ich nicht so genau hinguckte, sah ich in diesen Schatten meinen Jungen mit seinen Autos spielen. Dazu brauchte ich nur die Augen halb zuzumachen. Stundenlang konnte ich ihm so zuschauen, das war besser als jedes Fernsehen.
- Du kommst also zurecht?, sagte Terence Butcher.
- Auf jeden Fall.
- Gut.
Terence Butcher sah aus dem Fenster und nippte an seinem Tee. Es war immer noch dieselbe Aussicht auf London, nur wie gesagt, es herrschte Sommer, die Luft war feucht und flimmerte. Die 2 Hubschrauber über dem Parlament waren nicht mehr schwarz, sondern rot-weiß-blau umgespritzt, und die Japaner durften sie filmen.
Die Sperrballons hingen noch immer über der Stadt, bloß waren sie nicht mehr silbern. Auf jeden Ballon hatten sie das lächelnde Bild eines der Opfer vom 1. Mai gepinselt. Natürlich hießen sie nun nicht mehr Sperrballons, das neue Wort für diese Dinger war Schutzschilde der Hoffnung. Das heißt, auch meine Männer leisteten jetzt ihren
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