Lieber Osama
aber nicht umgekehrt mit ihr über dich.
- Warum solltest du auch? Über mich gibt es doch nichts zu sagen.
- Ich finde schon, sagte er.
- Was heißt denn das jetzt wieder?
- Was glaubst du wohl?, sagte er.
- Ich glaube, es heißt, du denkst zu viel.
Terence Butcher setzte sich auf die Tischkante und steckte sich eine rote Marlboro an. Er blies den Rauch von sich und sah ihm zu, wie er auf die Schlitze der Klimaanlage zutrieb.
- Hör zu, Terence. Ich weiß, was dir gut täte, ich hatte ja auch mal einen Mann. Du bräuchtest mal eine kleine Pause. Nur um auf andere Gedanken zu kommen. Warum gehen wir heute Abend nicht einen trinken, nur du und ich? Wir geben uns so richtig die Kante. Aber nicht in einem Polizeiclub, sondern irgendwo, wo uns keiner kennt und wo wir die Sau rauslassen können.
Terence Butcher runzelte die Stirn.
- Nein, sagte er. Du weißt ja, wie so was bei mir endet.
- Na und? Es ist doch nichts passiert, oder? Terence lächelte und schüttelte trotzdem den Kopf.
- Damit wäre Tessa bestimmt nicht einverstanden.
- Möglich. Aber muss sie es denn unbedingt wissen?
Er schaute auf das Foto von seiner Frau und den Kindern. Als er nach einer halben Ewigkeit den Blick wieder davon abwandte, war sein Gesicht so alt und müde, als ekle er sich vor sich selbst.
W IR VERLIESSEN S COTLAND Y ARD um 8 Uhr. Wir fuhren in einem Mannschaftswagen mit Maschendraht vor den Fenstern und einer Gummischürze, damit man keinen Molotow-Cocktail unter den Boden werfen konnte. Der Wagen hatte außerdem eine von diesen neuen Sound-Alert-Sirenen und eine Tränengaskanone. Ich nehme nicht an, dass du schon mal das Vergnügen hattest, Osama, aber besser und schneller kommt man nicht durch das Gewühl in London. Weil hinten aber die Sitze fehlten, wurden wir durchgeschüttelt wie irgendwelche losen Teile. Es ging zur Approach Tavern Nähe Victoria Park. Einer von der Fahrbereitschaft fuhr uns in 20 Minuten hin, das war rekordverdächtig. Allerdings war auch die Motorradeskorte eine große Hilfe. In seiner engen Ledermontur fuhr ein Motorrad-Cop vor uns her und machte uns mit seiner schweren BMW im gelb-violetten Polizeikaro den Weg frei – Darth Vader auf einem Battenberg-Hochzeitskuchen.
Wir hielten etwa hundert Meter vor dem Approach und gingen den Rest zu Fuß, weil Terence Butcher meinte, dass die Leute dort nur wieder meckern würden, von wegen Verschwendung von Steuergeldern und so, wenn wir mit diesem Gefährt aufkreuzten. Ich hatte das Approach ausgesucht, weil es nah genug an meinem Viertel lag, aber eben noch nicht die Sorte Pub war, wo man als Polizist zusammengeschlagen wurde. Außerdem zapften sie da das perfekte Guinness. Mein Mann war oft dort gewesen. Er meinte immer, ein Pub müsste laut und voll sein. Okay, Osama, du bist wahrscheinlich der Meinung, man sollte lieber eine Brandbombe reinschmeißen und später eine Moschee daraus machen, aber das ist eben der Unterschied zwischen meinem Mann und dir. Jede Wette, er hätte dich glatt unter den Tisch getrunken?
Terence Butcher war zwar in Zivil, aber davon ließen sich die Leute nicht täuschen. Er trug Jeans und ein hellgrünes Polohemd – das aber in der Hose. Dazu hellbraune Timberlands. Und sein Handy steckte in einem kleinen Lederetui an seinem Gürtel. Auch das war was, das bloß Bullen machten oder dein eigener Vater. Ich hatte meinen braunen Rock, die weiße Bluse und die Schuhe von Clark’s an. Drinnen im Approach war nicht gerade viel los. Kein Vergleich mit den Freitagabenden vor der Ausgangssperre. Der Barmann zwinkerte uns zu und sprach uns mit «Officer» an.
Ja, lach nur, Osama, aber ich habe Fotos von dir gesehen, und Gottes Geschenk an die Modewelt bist du ja nun auch nicht gerade mit deinen weißen Schlabberhosen, deiner Tarnjacke, der Digitaluhr und dem Strubbelbart. Ehrlich gesagt, du siehst so scheiße aus, du würdest prima nach Hoxton passen.
Wir nahmen einen Tisch in der Ecke, und während ich mich setzte, ging Terence an die Bar, um die Getränke zu holen. Das dauerte etwas wegen des Guinness. Wenn du öfter ausgehen würdest, Osama, wüsstest du, dass ein Guinness seine Zeit braucht, weil es in 2 Phasen gezapft wird. Während ich also auf Terence Butcher wartete, dachte ich an meinen Jungen. Wie er mir zum Abschied zugewinkt hatte, die Nase an die Scheibe des Astra gepresst. Dabei schaute ich auf den Fußboden und muss ein bisschen weggetreten ausgesehen haben, denn als Terence Butcher zurückkam, schnippte er
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