Lieber Osama
wegguckte. Terence setzte sich.
- Alles in Ordnung?, sagte er.
- Hmm? Doch, ja. Danke.
Ich griff nach dem frischen Glas und klimperte mit dem Eis darin. Terence Butcher steckte sich die nächste Zigarette an, und ich nahm mir auch eine, da ich sowieso schon betrunken war.
- Wir haben viel zu schnell geheiratet, sagte er. Ich und Tessa, meine ich. Damals wartete man ja noch bis nach der Hochzeit, deshalb konnte es einem mit dem Heiraten gar nicht schnell genug gehen. Die Hochzeit fand genau 3 Monate und 3 Tage nach unserer ersten Verabredung statt. Ich kann mich heute nur noch sehr verschwommen dran erinnern. Ich weiß nur, dass ich irgendwann vor dem Altar stand und sagte: Ja, ich will. Ich erinnere mich auch, dass ich die Braut geküsst habe. Und wie ich mich dann umdrehte und die Hochzeitsgäste sah. In dem Moment wurde mir klar, dass das nicht mehr meine Welt war. Auf meiner Seite der Festgemeinde waren meine Kumpel von der Polizei, alle mit Frau oder Freundin, ein netter Haufen, wirklich, aber man sah, dass die Anzüge nur geliehen waren, weißt du. Doch auf Tessas Seite, der Brautseite meine ich, das waren alles Anwälte und Börsenmakler, und die Frauen trugen diese riesigen Hüte, die garantiert ihnen selbst gehörten.
- Du armer Kerl.
- Wie gesagt, in dieser Sekunde ging es mir auf. Wir von der Polizei sind ja bekannt für unsere Beobachtungsgabe.
Er trank das halbe Glas leer, knallte es auf den Tisch und lachte.
- Gott, sagte er. Das Ganze glich weniger einer friedlichen Festgemeinde als dem Aufmarsch der gegnerischen Seiten im englischen Bürgerkrieg. Ich blickte mich nach Tessa um, und auch ihr schien zum ersten Mal diese komische Versammlung aufzufallen. Sie ließ sich zwar nichts anmerken, aber ich wusste, sie hatte dasselbe gesehen wie ich. Da waren wir jetzt also. Die Zukunft, da lag sie vor uns ausgebreitet. Tessa sah mich nur an, und von da an, glaube ich, gaben wir uns keiner Illusion mehr hin. Ich weiß nicht mal, ob man danach überhaupt noch von Liebe sprechen konnte. Wir hatten unsere Theaterabende. Die Kinder. Nach außen hin die perfekte Fassade. Aber eigentlich keine Liebe.
- Und Sex?
- Tja, sagte er. Ab und zu und etwa bis Mitte der 90er. Ich kann nicht mal sagen, dass es mir besonders leid tat, als wir es irgendwann sein ließen. Tessa gab mir sowieso immer das Gefühl, ich latsche dabei mit dreckigen Stiefeln über ihren Teppich. Lag einfach nur da und tat keinen Mucks. Und wenn ich ihr dann in die Augen sah, war es, als blickte man von draußen durch ein Kirchenfenster.
- Das ist hart.
- Ach, was soll’s? Alles halb so schlimm. Nur wenn ich was getrunken habe, komme ich so ins Grübeln.
- Ich schätze, jemand wie du hat ein besseres Eheleben verdient.
- Aber das ist es ja gerade: Ich habe keins. Was sich bei uns zu Hause abspielt, ist Klassenkampf.
Er packte sein Glas so fest, dass ich schon Angst hatte, es ginge kaputt. Ich legte ihm die Hand auf den Unterarm, und er sah mir ins Gesicht.
- Weißt du, worin ihr euch unterscheidet, Tessa und du?, sagte er. Die Warmherzigkeit. Das ist was, das ich nur von dir bekomme, nicht von Tessa. Schlichte menschliche Wärme… Darf ich dir was verraten?
- Ja, erzähl.
Terence Butcher wurde rot.
- Manchmal stelle ich mir uns zusammen im Bett vor. Nicht, dass wir zusammen schlafen, nein, wir reden nur. Es ist Morgen, und wir sind irgendwo mit dem Wohnwagen unterwegs, und die Sonne scheint durchs Fenster. Weit weg von London. Man sieht den glitzernden Staub in der Morgenluft, und alles ist so still und friedlich. Und wir unterhalten uns bloß, und plötzlich wendest du dich mir zu und wuschelst mir durchs Haar. Das ist alles. Du wuschelst mir durchs Haar, und wir lächeln – weil wir uns verstehen.
Ich lächelte ihn an und legte meine Hand an sein Gesicht. Er beugte sich verschwörerisch nach vorn.
- Hättest du nicht Lust, mal mitzukommen?, sagte er. Nur so für ein Wochenende. Wir könnten mit dem Wohnwagen an die See fahren, nach Brighton oder Worthing, was meinst du?
- Ich weiß nicht.
- Ehrlich gesagt, ich auch nicht, sagte er. Der Campingplatz in Worthing ist besser ausgestattet, aber Brighton ist gemütlicher, deswegen ziehe ich, glaube ich, Brighton vor.
- Nein, ich meine, ich weiß nicht, ob wir überhaupt fahren sollen. Was ist mit deiner Frau?
- Die nehmen wir natürlich nicht mit, sagte er. Der Wohn wagen ist nicht so groß, weißt du, und sie trägt immer so viel Gepäck mit sich rum: ihre Herkunft, das
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