Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
betrauen. In
Le Front de l’art
erzählt sie, wie sie trotz der Gefahr eine Kopie der detaillierten Liste gestohlener Werke anfertigte. Nach dem Krieg wurde sie zum Hauptmann der französischen Armee ernannt und ins besetzte Deutschland geschickt, um die geraubten Schätze nach Frankreich zurückzuholen.
Der Raub war auch ein Anklagepunkt in den Nürnberger Prozessen. Neben den Gräueln mag der Raub von Kunstwerken in den von den Nazis besetzten Gebieten bedeutungslos erscheinen. Aber das Gericht betrachtete ihn dennoch als Kriegsverbrechen, denn der Angriff auf die Kultur zielte auch auf die Auslöschung eines ganzen Volks.
Gleich zu Beginn der Besatzung kamen die Nazis wie geplant in die Rue La Boétie, sehr enttäuscht, die Familie nicht anzutreffen, die dort offenbar ruhig auf sie hätte warten sollen.
Am 4. Juli 1940 ersuchte der Botschafter des Reichs, Otto Abetz, um die sofortige polizeiliche Durchsuchung des Hauses in der Rue La Boétie und die Beschlagnahmung der Werke. Er hatte für die Gestapo gerade die Liste der großen jüdischen Kunsthändler und Sammler fertiggestellt: Bernheim-Jeune, Alphonse Kann, Seligmann, Wildenstein und Paul Rosenberg.
Nach der Durchsuchung wurde das Gebäude in der Rue La Boétie beschlagnahmt und im Mai 1941 von den französischen Behörden registriert. Am 11. Mai wurde dort mit großem Pomp das neu geschaffene IEQJ, Institut für das Studium der Judenfragen, eröffnet.
Ich habe mir die wenigen Bilder von der Eröffnung angesehen und vor allem die Aufzeichnung von Radio-Paris angehört, die mir das französische Rundfunk- und Fernseharchiv in Kopie zur Verfügung gestellt hat, ein sehr gut erhaltenes Dokument mit der näselnden Originalstimme und Worten, die wehtun: »Heute fand die Eröffnung des Gebäudes statt, das früher von Rosenberg bewohnt war – schon der Name sagt alles.«
Die Zeremonie beginnt mit einer Rede über den »moralischverheerenden Einfluss des Judentums« von Clément Serpeille de Gobineau, einem Nachkommen des berühmten Verfassers des 1853 erschienenen
Essay über die Ungleichheit der Menschenrassen.
Auf den Fotos und in dem Archivfilm sieht man, wie Céline, aus gutem Grund und wegen seiner Prominenz geladen, sein Fahrrad vor der Galerie meines Großvaters abstellt, über der jetzt in Großbuchstaben der Name dieses Instituts prangt. Gut zu erkennen ist der Portalvorbau. Innen im Ausstellungssaal hing ein riesiges Plakat mit einer auf dem Boden liegenden, mit der Trikolore bedeckten Frau, über deren Leib sich ein Adler beugt. Darunter steht: »Franzosen, zu Hilfe!«
An dem Ort, wo in den Jahren zuvor Bilder von Renoir, Picasso oder Léger hingen, hängt nun eine Trikolore, ein Porträt Pétains und ein Zitat von Edouard Drumont, dem Autor von
La France juive,
der, so die zeitgenössische Presse, »das jüdische Problem als erster in seiner ganzen Tragweite darstellt«: »Die Juden sind arm in ein reiches Land gekommen. Jetzt sind sie die einzigen Reichen in einem armen Land.«[ 9 ] An der gegenüberliegenden Wand ein weiteres Zitat: »Wir bekämpfen die Juden, um Frankreich sein wahres Gesicht zurückzugeben, das Gesicht unserer Heimat.«
Generalsekretär des Instituts war bis Dezember 1942 Hauptmann Paul Sézille. Er war früher die rechte Hand von Darquier de Pellepoix und Mitglied von dessen vor dem Krieg gegründeten
Rassemblement antijuif de France
[ 10 ], pensionierter Offizier der Fremdenlegion und, wie Laurent Joly schreibt,von Alkohol und Antisemitismus durchtränkt: »Er ist eine der groteskesten Figuren des Pariser Antisemitismus in den Jahren 1940–1944, die ›der Stimme eines Gesunden Frankreich Gehör zu verschaffen sucht, das seine wahre Seele wiederfinden will‹.«
Im Januar 1943 wurde er von George Montandon[ 11 ] abgelöst, der das Amt bis zur Befreiung von Paris am 25. August 1944 ausübte. Unter ihm erhielt das weiterhin in der Rue La Boétie residierende Institut den Namen Institut d’Étude des Questions juives et ethno-raciales, IEQJER. Mit diesem Namen wollten die Deutschen den Anschein eines – wie man heute sagen würde – Forschungszentrums erwecken. Sie richteten sechs Lehrstühle ein, darunter den für »Ethnorassenkunde«, der natürlich Montandon selbst vorbehalten war, einen für »Eugenik und Demographie« und einen für »Judeokratie«.
Das im Haus meiner Familie eingerichtete Forschungsinstitut für Judenfragen war ein – nach französischem Recht – eingetragener Verein zum Zweck der Verbreitung
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