Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
strich, habe ich an die Milizionäre gedacht, die ihn mit Füßen getreten hatten, und an die denunzierten und festgenommenen Unschuldigen, die darübergegangen waren, bevor sie ihren Henkern ausgeliefert wurden. Ich konnte
L’assassin habite au
21 (Der Mörder wohnt in Nr. 21) von Georges Clouzot nie sehen, ohne daran zu denken.
1 Neil Levy, »Judge for yourselves!«, the »Degenerate Art« Exhibition as Political Spectacle, in:
October
Nr
.
85, (Sommer 1998), 41–64.
2 Vgl. Lynn Nicholas,
The Rape of Europa,
Random House 1994. (dt.: Der Raub der Europa, München 1995)
3 Vergleiche dazu die historisch und intellektuell sehr interessante Passage in
Der Raub der Europa.
4 Der Schriftsteller Rebatet war bekennender Faschist und verteidigte den Nationalsozialismus bis in die letzten Tage des Regimes. Er wurde 1946 zum Tode verurteilt, die Strafe jedoch in Zwangsarbeit umgewandelt. 1952 wurde er freigelassen.
5 Laurence Bertrand Dorléac,
L’Art de la défaite, 1940–1944,
Paris 1993
6 Sehr gut beschrieben in dem zitierten Werk von Laurence Bertrand Dorléac.
7 Vgl. ebd.
8 Rose Valland,
Le Front de l’art,
1961 in Paris erschienen, 1997 von der Réunion des musées nationaux wiederaufgelegt
9 Zitiert in: Laurent Joly,
Vichy dans la ›Solution finale‹, Histoire du Commissariat général aux Questions juives (1941–1944),
Paris 2006
10 Antijüdische Vereinigung Frankreichs (A.d.Ü.)
11 Arzt, Anthropologe, Urheber von Rassentheorien
12 Joseph Billig,
Le Commissariat général aux Questions juives, 194–1944,
(3 Bde.) Paris 1955
13 Das gelbe Heft (A.d.Ü.)
14 Die Judenfrage in Frankreich und in der Welt (A.d.Ü.)
15 Zitiert nach Laurence Bertrand Dorléac, op. cit.
16 Marcel Ophüls hat in seinem Film
Le Chagrin et la Pitié (Das Haus nebenan…)
Ausschnitte gezeigt, die mich immer verfolgt haben, noch bevor ich wusste, dass diese Ausstellung in der Rue La Boétie 21 vorbereitet worden war.
17 Céline,
Lettres,
Paris 2009
FLOIRAC
P AUL HAT DAS NAZIREGIME von Anfang an mit allen Fasern seines Wesens abgelehnt. Er beteiligte sich aktiv am Widerstand gegen den Verkauf der »entarteten« Kunst durch die deutsche Regierung, indem er als Präsident des Kunsthändler-Verbands die europäischen Händler dazu aufrief, diese Verkäufe zu boykottieren.
Nur wenige weigerten sich, die auf den Markt geworfenen, oft herausragenden Werke zu erwerben, die der Traum jedes Kunstliebhabers waren. »Keinen Heller dem deutschen Reich« war die Losung einer kleinen Gruppe, die sich viele von weniger skrupulösen Händlern erworbene Meisterwerke entgehen ließen. Paul war einer von ihnen.
Die Deutschen vergaßen es ihm nicht. Sie setzten Paul auf ihre schwarze Liste.
Er hatte gewisse Vorahnungen gehabt und eine Anzahl von Werken nach London und New York in Sicherheit gebracht beziehungsweise an amerikanische Museen ausgeliehen. Vor allem ans New Yorker MoMA für die erste große Picasso-Retrospektive, die Paul mit seinem Freund Alfred Barr monatelang selbst vorbereitet hatte.
Wahrscheinlich deshalb sprach er im August 1939[ 1 ] in einemBrief aus Evian an Picasso von »den schwarzen Ereignissen«, als seien sie nur eine fatale Entwicklung, nicht schon das Vorzeichen der unmittelbar bevorstehenden Katastrophe.
Am 3. September 1939, dem Tag der Kriegserklärung, war Paul mit seiner Familie in der Touraine, in Cinq-Mars-la-Pile. Er schloss die Galerie in Paris und schickte aus Angst vor Bombardierungen einige seiner Bilder nach Tours, wo er sie unter dem Namen seines Chauffeurs Louis Le Gall einlagerte. Sie waren die ersten, die er nach dem Krieg zurückerhielt, denn weder die Nazis noch die französischen Behörden hatten von dieser Vorsichtsmaßnahme erfahren.
Danach fuhr die ganze Familie nach Bordeaux, wo sie am 7. Februar 1940 ein Haus mietete: das »Castel« an der Route de la Tresne 12 in Floirac la Souys, fünf Kilometer östlich von Bordeaux. Das Haus hatte seinen Namen von seiner ursprünglichen Bestimmung als Kastell behalten, es gehörte Monsieur und Madame Ledoux, die weiter in der obersten Etage wohnten. Nach dem Krieg nahmen sie wieder das ganze Haus in Besitz und verkauften das Anwesen in den Sechzigerjahren an die Stadtverwaltung.
Ich war nie in Floirac gewesen, aber jetzt wollte ich das Haus sehen, in dem meine Familie die erste Zeit des Krieges verbracht hatte und das ich nur von Fotos kannte.
Die Garonne ist grau an diesem Septembermorgen des Jahres 2010. Ich
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