Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
moderne – etwa dreißig große, wertvolle Gemälde.
Pauls Weg verlief also über die Impressionisten zu den Modernen. Noch Anfang der Fünfzigerjahre bewies er seine Offenheit für neue Entwicklungen, er nahm Nicolas de Staël unter Vertrag und versuchte, die Malerei von Le Corbusier bekannt zu machen, die nie »lief«. Er bewies sie auch mit seinen Ausflügen zu amerikanischen Malern, die bis dahin ein Geheimtipp waren, wie Max Weber, Karl Knaths und Abraham Rattner.
Aber die Schwelle zur nächsten Generation überschritt er nicht, die ihn zu seinen Lebzeiten beispielsweise zu Edward Hopper oder Willem de Kooning hätte führen können. Er hätte auch Jasper Johns oder Rothko kaum gemocht, wenn er sie erlebt hätte. Und auf die Pop-Art Rauschenbergs oder Andy Warhols hätte er sich mit Sicherheit nicht eingelassen. Wenn es um die Anerkennung neuer Entwicklungen in der Moderne geht, stößt man immer an seine Grenzen.
Als die Zeitschrift
Art in Australia
den schon erwähnten Artikel über die in Frankreich gebliebenen Künstler abdruckte, stellte sie Paul, der ein gutes Jahr zuvor in die USA gekommen war, als den Mann vor, der die Künstler vor dem Krieg besser kannte als irgendjemand sonst. In seinem Artikel schrieb Paul unter anderem: »Maler, die ihrer Zeit voraus sind, gibt es nicht. Es ist das Publikum, das manchmal der Entwicklung in der Kunst hinterherhinkt. Wie viele Irrtümer sind begangen worden, wie viele später große Maler haben im Elend gelebt, nur wegen der Ignoranz der Kunsthändler und ihrer Weigerung, diese Künstler zu unterstützen, nur weil sie diesen oder jenen Aspekt ihrer Kunst nicht mochten oder nicht verstanden! (…) Allzu oft sucht der Betrachter bei sich nach Argumenten gegen ihre Kunst, statt zu versuchen, sich von seinen konventionellen Auffassungen zu befreien.«
Zur Illustration hatte Paul stets einen Text des Kunstkritikers Albert Wolff zur Hand, der 1876 sehr passend im
Figaro
erschienen war. Die »Impressionisten« – ein Attribut, das als Beleidigung gemeint war, das die Betroffenen dann aber gerne für sich in Anspruch nahmen – hatten zwei Jahre zuvor von sich reden gemacht, und den Konservativen fiel es schwer, etwas, das sie nicht verstanden, als genial anzuerkennen. Paul verwendete den Text oft als Gegengift gegen das Unverständnis seiner Zeitgenossen – er war auch dem Katalog seiner letzten großen Picasso-Ausstellung in Paris 1936 vorangestellt:
»Die Rue Le Peletier hat viel Pech. Nach dem Brand der Oper ist nun eine neue Katastrophe über das Viertel hereingebrochen. Bei Durand-Ruel ist eben eine Ausstellung eröffnet worden, von der man behauptet, es sei Malerei. (…) Manche Leute stehen prustend vor diesen Sachen. Mir krampft sich das Herz zusammen. Diese sogenannten Künstler nennen sich die Unnachgiebigen, die Impressionisten; sie nehmen eine Leinwand, Farbe und Pinsel, verteilen nach dem Zufallsprinzip ein paar Kleckse darauf und signieren das Ganze. So sammeln verwirrte Geister in der Klinik Ville-Evrard Steinchen auf ihrem Weg und bilden sich ein, sie hätten Diamanten gefunden. (…) Machen Sie Herrn Pissarro doch begreiflich, dass Bäume nicht violett sind, dass der Himmel nicht die Farbe von frischer Butter hat, dass man die Dinge, die er malt, in keinem Land der Erde sieht (…) Versuchen Sie doch, Herrn Degas zur Vernunft zu bringen (…). Versuchen Sie, Herrn Renoir zu erklären, dass der Oberkörper einer Frau kein Haufen sich zersetzenden Fleisches ist, mit grünen und blauroten Flecken darin, die vom Zustand vollständiger Verwesung eines Kadavers zeugen! (…) Und diesen Haufen unflätiger Dinge unterbreitetman dem Publikum, ohne an die verhängnisvollen Folgen zu denken, die sie nach sich ziehen können! Gestern hat man in der Rue Le Peletier einen armen Mann verhaftet, der, als er aus dieser Ausstellung kam, die Passanten gebissen hat.«[ 6 ] Der Artikel ist hübsch geschrieben, die Attacke wirkungsvoll, doch der Spott fällt ein paar Jahrzehnte später auf den Verfasser zurück.
Gegen solche Voreingenommenheit hat Paul gekämpft. »Bäume sind nicht violett« … Aber war er wirklich ein Visionär, oder hat er – das wäre schon viel – die Erneuerer der Malerei nur begleitet und sie unter die Klassiker gemischt, damit sie eher akzeptiert wurden? Wie weit ging seine Kühnheit? Wie begriff er die Rolle des Kunsthändlers auf dem Markt, der sich nach und nach herausbildete?
Als seine Nichte Lucienne, die Tochter seines Bruders Léonce,
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