Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
Ägypter und Griechen, bis er bei den Modernen anlangte. In den Ferien reiste er zu allen Museen Europas und lernte sie kennen. »Dass ich die italienischen und flämischen Maler des 14. und 15. Jahrhunderts kannte, ihre Ausdrucksformen, ihre Lebensart und die Schriften studiert hatte, die sie für ihren künstlerischen Ausdruck verwendeten, hat mich schon sehr früh zu der Einsicht gebracht, dass es kein bestimmtes Verfahren gibt, dass es nur auf die Gesetze des Bildaufbaus, die Farbbeziehungen, Volumen,Linien und das, was sie ausdrücken wollen, ankommt. (…) Ich ging mit meinem Vater aus, der mich in den Beruf des Antiquitätenhändlers einführte und meine Eindrücke korrigierte. Bis ich anmaßend wurde und seine Ankäufe kritisierte, wenn er sie in meiner Abwesenheit getätigt hatte.«
Aber er lernte, manchmal mehr schlecht als recht: »Wir hatten ein altes Meißner-Porzellan-Service mit rosa Grund und besaßen auch ein Meißner Porzellanfässchen in derselben Farbe. Einer unserer Kunden, der Fürst St. L., kam eines Tages zu uns, und ich verkaufte ihm das Service, und als Zugabe schenkte ich ihm das Fässchen, das für sich allein mehr wert war als das ganze Service. Erstaunt über den Preis, bestand der Käufer darauf, alles selbst mitzunehmen. Sehr stolz auf diesen Verkauf, erzählte ich meinem Vater davon, der mich alles Mögliche schimpfte und erklärte, ich würde nie fähig sein, diesen Beruf auszuüben! Ich muss gestehen, dass ich nicht stolz bin auf meine Anfänge als Geschäftsmann …«
Doch mit der Zeit wurde das Auge geschulter und Paul hielt seine Lehrzeit für beendet. »Da du dich so gut auskennst«, sagte da sein Vater, »geh nach London, eröffne ein Haus, mach Geschäfte und versuche, dich nicht zu irren.« Der junge Mann fuhr also mit neunzehn Jahren nach London, stolz, arrogant und sicher, mit Lorbeeren überhäuft zu werden. »Aber leider waren meine ersten Erfahrungen nicht besonders glücklich. Ohne meinen Vater war ich führerlos und konnte mich auf niemanden stützen.« So suchte er etwa nach Bildern von Alfred Stevens[ 2 ] und stürzte sich auf einen A. Stevens, der, wie sich herausstellte, von einem Agrippa, nicht von Alfred Stevens war und keinerleikommerziellen Wert hatte. Aber er machte Fortschritte, kaufte für 250 Pfund zwei Monets, dann für 40 Pfund zwei Zeichnungen von van Gogh und gewann allmählich das Vertrauen seines Vaters, der sich aus dem Handel mit Kunstgegenständen zurückzog, um sich nur noch den Bildern zu widmen, und wünschte, dass seine Söhne ebenfalls Händler wurden.
1906 übergab Vater Rosenberg den beiden Söhnen das Geschäft in der Avenue de l’Opéra 38 und Paul bemerkte schnell, dass der Verkauf von Impressionisten nicht ausreichte, um Geld zu verdienen. »Wir waren gezwungen, ›verkäufliche‹ Bilder anzukaufen.« Verkäuflich hieß, Bilder aus der Schule von Barbizon, die den Zeitgeschmack immer noch beherrschte. Aber vielleicht nicht einmal das: Paul versuchte vergeblich, einem Kunden einen Ziem[ 3 ] zu verkaufen, der 6000 Francs für eine Ansicht von Venedig mit einem schiefen Campanile zu teuer fand. Er versuchte auch, einem Nachkommen der Bourbonen ein Porträt von Ludwig XIV. zu verkaufen, aber der war enttäuscht, als Paul ihm ganz naiv erklärte, er sähe seinem Ahnen gar nicht ähnlich.
Trotzdem: »Ich hatte Erfolg, aber der Gedanke quälte mich, dass ich Bilder verkaufte, die ich nicht mochte und die nach meiner Überzeugung in Zukunft keinen Bestand haben würden. Das war der Moment, in dem ich beschloss, alles, was ich besaß, zu verkaufen und in die Impressionisten zu stecken. Mir wurde klar, dass ich, wenn ich es erfolgreich mit den großen Häusern aufnehmen wollte, die damals zählten, nur ausgesuchte, vorzügliche Werke ankaufen durfte und auf die Zeit vertrauen musste, um mir einen Ruf zu schaffen.«
Das waren die beiden Lektionen, die er aus seiner Lehrzeit mitnahm und ein paar Jahre später in die Tat umsetzte. Erstens die Erfahrungen, die er mit den Impressionisten gemacht hatte, noch einmal anzuwenden, aber etwas verschoben: Diesmal verkaufte er ihre Bilder, um seinen Lebensunterhalt zu sichern und abwarten zu können, dass die Kunstliebhaber auf den Geschmack kamen und die ihm teuren zeitgenössischen Werke kauften. Innerhalb von zehn Jahren kam er so in zwei Etappen von der Schule von Barbizon zu Pablo Picasso.
Die zweite Lektion war der Ruf, den er sich von da an für den Rest seines Lebens erwarb: Auch von der neuen
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