Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
Francs, darunter ist nichts zu machen – Aha, gut, Sie nehmen ihn?‹ Er war nicht unglücklich, seiner Frau zu beweisen, dass es noch Verrücktere gab als ihn!«
Die Impressionisten kamen also ins Haus von Urgroßvater Rosenberg, zu einer Zeit, als es nur wenige Liebhaber dafür gab und die Händler lieber Bilder aus der Schule von Barbizon verkauften als die aus dieser gar nicht mehr so neuen Richtung. Die Wahrnehmung des Publikums hinkt der Zeit oft hinterher.
Monet, Manet, Pissarro, Sisley, Courbet, Daumier, Lautrec, Cézanne, van Gogh schmückten seither die Galerie in der Avenue de l’Opéra. Auch Renoir, von dem mein Urgroßvater das Bild
Petite Fille à l’arrosoir
erwarb, das sein Sohn Paul sehr viel später dem großen amerikanischen Sammler Chester Dale verkaufte. Es war das erste Bild – und eines der schönsten – der Serie, die 2009 bei der eindrucksvollen Ausstellung der Sammlung Chester Dale in der National Gallery of Art in Washington gezeigt wurde.
Ich ging hin, um zu sehen, ob es so anmutig ist wie die berühmte Reproduktion, und war geblendet von der Sonne, die Renoir im leuchtenden Haar des Kindes spielen ließ und damit Leben in die Schatten auf seinen Wangen brachte.
1 Pierre Assouline,
L’Homme de l’art, D.-H. Kahnweiler 1884–1979,
Paris 1989.
2 Als Savador Dalí eines Tages in einem Restaurant auf Paul zukam und ihn höflich bat, ihn zu vertreten, antwortete dieser grob und nicht sehr weitsichtig: »Monsieur, meine Galerie ist ein seriöses Haus und nicht für Clowns da.«
3 Zitiert nach Pierre Assouline, op. cit.
4 Michael C. Fitzgerald,
Making Modernism: Picasso and the Creation of the Market for Twentieth-Century Art,
Berkeley 1995
5 So Pierre Assouline, op.cit.
6 Albert Wolff, in:
Le Figaro,
3. April 1876
7 Familienarchiv
8
Zimmer von van Gogh in Arles,
das immer noch im Art Institute in Chicago zu sehen ist.
9 Die Verballhornung von Cézanne. Ces anes: diese Esel. (A.d.Ü.)
CHÂTEAUDUN, OPÉRA UND MADISON AVENUE
I CH HABE DEN VERGILBTEN , zerfledderten Geburtsregisterauszug von Paul wiedergefunden: Er ist am 29. Dezember 1881 in der Rue de Châteaudun 29 in Paris geboren, als Sohn von Alexandre Rosenberg und Mathilde Jellinek. Die Namen klingen nach Ungarn beziehungsweise Bratislava, das heute die Hauptstadt der Slowakei ist und damals zur k.u.k. Monarchie gehörte.
Ich habe meine Mutter immer stolz sagen hören – wahrscheinlich infolge des Traumas von 1940 –, sie sei seit zwei Generationen Französin. Aber das stimmt so nicht ganz: Obwohl ihr Vater tatsächlich in Frankreich geboren ist, war er nicht automatisch von Geburt an Franzose. Das Gesetz vom 26 Juni 1889, nach dem auf französischem Boden geborene Kinder Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten sind, wurde zwar angewendet, aber die Staatsbürgerschaft erhielten sie erst bei der Volljährigkeit. Paul hätte sich 1902, als er einundzwanzig wurde, offiziell einbürgern lassen müssen. Doch zu der Zeit war er in London, um seinen Beruf zu lernen, und ließ den Termin verstreichen. War die nationale Identität der Familie also schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefährdet?
Da finde ich in den verstaubten Kartons ein zweites Dokument, aus dem Jahr 1913, mit der Bestätigung seiner Einbürgerung, um die er doch noch ersucht haben muss, was dieletzte Möglichkeit für ihn war, Franzose zu werden. Das Schreiben ist von Louis Barthou, dem damaligen Siegelbewahrer, unterzeichnet – jenem Barthou, der 1934 bei dem Ustascha-Attentat auf Alexander I. von Jugoslawien in Marseille ums Leben kam.
Mein Großvater ist also, obwohl in Paris geboren, auf seinen Wunsch hin Franzose geworden, nicht durch Geburt. In einem Frankreich, das kurz vor dem Ersten Weltkrieg froh war, so viele seiner alten und neuen Kinder wie möglich einzuberufen. Kurz, von dieser Seite her bin ich eine relativ frische Französin. Auch die Gesetze der III. Republik waren für die Kinder von Einwanderern nicht sehr viel günstiger.
Paul trat im Januar 1898, mit sechzehn Jahren, in das Geschäft seines Vaters ein. »Er wünschte, dass ich den Beruf früh lernte. Er begann damit, mich Briefe kopieren und in ein Register eintragen zu lassen. Nach acht Tagen erklärte ich ihm, ich würde erst weitermachen, wenn ich mit meinem Studium der Kunst fertig sei. Er stimmte zu, und ich lief in die Museen und machte mir Notizen.«[ 1 ] Gewissenhaft begann er mit der Kunst der Antike und studierte die Chaldäer,
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