Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
äußerlicher Luxus (…) und nur Almosen für die Besitzlosen.«[ 7 ]
Sicher ist das kein Aufruf zur Revolution, ich will nicht versuchen,meinen Großvater zum radikalen Linken zu stilisieren, wovon er weit entfernt war. Auch seine Verbitterung gegenüber Frankreich, das ihn vertrieben hatte, unterschätze ich nicht. Doch solche Äußerungen – und ich habe viele in seiner Korrespondenz gefunden – zeugen davon, dass Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung ihn immer empört haben.
Viel mehr kann ich darüber nicht sagen. Paul Rosenberg lebte sehr komfortabel, er wanderte nicht wie sein Freund Picasso von der Bohème zur Bourgeoisie und von dort zur Kommunistischen Partei. Aber er beurteilte die öffentlichen Angelegenheiten auch nicht nur aus dem Blickwinkel des Milieus, in dem er lebte. Ein »Kaviarlinker«, wie man heute spöttisch jemanden nennt, der es sich nicht in den politischen Ansichten seines sozialen Milieus bequem macht – als wäre die Determinierung durch das Bankkonto stärker als die Überzeugungen, als könnten diejenigen, die »im Wohlstand« leben, nur im Interesse ihrer Klasse wählen!
Keine ideologischen Bekenntnisse also, aber über seinen familiären Hintergrund gab er 1927 den
Feuillets volantes
ein völlig verrücktes Interview.[ 8 ] Der Interviewer war der schon erwähnte bekannte Kunstkritiker und Verleger Tériade. Ein merkwürdiges Dokument, denn Tériade fragt ihn vollkommen ernst und scheint doch keineswegs erstaunt über die seltsamen Antworten Pauls, der sich ganz offensichtlich über ihn lustig macht: »Ich komme aus einer sehr alten Familie, deren Spur sich im Dunkel der Zeiten verliert. Meine Vorfahren, angewidert von dem Geist, der damals in Palästina herrschte, hatten die Gesetzestafeln verkaufen wollen, aber die Experten zogenihre Echtheit in Zweifel. Einer meiner Vorfahren hat die Expertise zur Vase von Soissons[ 9 ] erstellt. (…) Ein anderer Vorfahr gehörte zu den Templern. Er endete auf dem Scheiterhaufen und gab zum ersten Mal in seinem Leben etwas zurück, nämlich Gott seine Seele. (…) Mein Vater begab sich nach Mesopotamien, um die Überreste des Turms von Babel zu untersuchen, besichtigte Indien, Lutezia[ 10 ], Belleville und Montparnasse. Er war ein sehr vornehmer, sehr gelehrter und so großzügiger Mann, dass er mich am 29. Dezember 1881 um drei Uhr nachmittags das Licht der Welt erblicken ließ. (…) Mit sechzehn Jahren trat ich ins väterliche Geschäft ein. Am Anfang ließ mein Vater mich das Register der kopierten Briefe führen. Diese Aufgabe, die mir düster hätte erscheinen können, löste eine wilde Begeisterung für Rechnungen in mir aus, und ich träumte schon von denen, die ich später mit meinem eigenen Namen unterzeichnen würde. (…) Was mir am meisten zu schaffen machte, war, herauszufinden, von wem die Bilder waren, die ich prüfen musste, und ob sie echt waren. Ich musste also ein unfehlbares Mittel finden, um über diese beiden Punkte Klarheit zu gewinnen. Was den ersten angeht, hatte ich entdeckt, dass ich, wenn ich heimlich die Signatur des Bildes las, den Namen des Malers erfuhr. Was die Echtheit der Bilder anging, (…) schaute ich nach, ob die Bilder, die mir unterbreitet wurden, in Katalogen enthalten waren oder in Büchern, wo sie reproduziert waren. In diesem Fall vertrat ich entschieden die Ansicht, dass sie völlig echt seien. So verfahreich auch heute noch!« – »Was denken Sie über Ihre Maler?«, fragt der Journalist, keineswegs aus der Fassung über die Frechheit gegenüber einem geachteten Kunstkritiker. »Ich habe alle nur möglichen Garantien eingeholt, die Meinung der Experten vom Berufungsgericht, ausgezeichneter Chemiker, der Hersteller von Leinwänden und Keilrahmen, und kann Ihnen versichern, dass ich gute und fehlerlose Ware verkaufe. (…) Mein größter Ehrgeiz ist, auf der Erfindermesse Concours Lépine all die fantastischen Dinge auszustellen, die ich mir ausdenken muss, um meine Kunden glauben zu machen, dass das, was ich ihnen verkaufe, Gemälde sind.« – »Was halten Sie von Ihren Kollegen?«, fragt schließlich der unglückliche Kunstkritiker, den mein Großvater schamlos verspottet. »Ich empfinde für jeden einzelnen genauso viel Achtung wie er für mich.«
Konnte er also doch komisch und fröhlich sein, dieser Paul, der auf mich eher nüchtern als heiter, eher asketisch als lebenslustig wirkte? Ich vermute trotzdem, dass er eher düster war, wie es in der Korrespondenz mit Picasso manchmal
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