Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
modernen Malerei wollte er nur die außergewöhnlichen Stücke besitzen. In den vierzig Jahren seiner Galerien in Paris und New York, von der seines Vaters in der Avenue de l’Opéra bis zu seiner eigenen an der Madison Avenue, blieb sein Markenzeichen die höchste Qualität der von ihm angebotenen Werke.
Doch über seiner Leidenschaft für die Modernen vergaß er nie seine große Liebe zu Renoir.
Vor einiger Zeit fand im Grand Palais in Paris eine Ausstellung von Renoirs Spätwerk statt, und ich habe sie mir vom Ende her angeschaut. Ich gestehe, dass mich die leichte Malerei Renoirs eher langweilt, sie ist zu oft reproduziert worden, zu etabliert, auf Tausenden von Postern und Tischsets abgedruckt. Mir geht es etwa so wie dem Musikliebhaber, der Mozarts 41. Sinfonie im Klassikradio nicht mehr hören kann, weil sie von sämtlichen Orchestern der Welt wieder und wieder gespielt worden ist.
Für mich verdarb die verschwommene, rote, allegorische letzte Phase von Renoir sein ganzes früheres Werk. Diesesschroffe Urteil, das ich, wie ich glaubte, über meine Mutter von Paul hatte, schien mir unwiderruflich.
Doch die Ausstellung mit dem Titel »Renoir im 20. Jahrhundert« war ein Genuss. Sie vereinigte Bilder aus den Jahren 1880–90, als sich Renoir von der Revolution der Impressionisten entfernte, die in der Natur arbeiteten, und stattdessen Porträts von lieblichen, verträumten jungen Mädchen malte – das reizende Profil von Gabrielle, dem Kindermädchen seines Sohnes Jean, Badende bei der Toilette, Szenen aus dem bürgerlichen Alltag (Frauen beim Kämmen, bei der Lektüre, am Klavier oder beim Nähen) und Akte mit üppigen Kurven wie von Boucher und Rubens. Unter den allerletzten Bildern auch
Die großen Badenden,
das Renoirs Söhne kurz nach seinem Tod 1923 dem Staat geschenkt hatten. Ich mag dieses Bild nicht, obwohl Renoir selbst es für die »Krönung«, ein »Sprungbrett zu künftigen Entwicklungen« hielt. In meiner Abneigung gegen die weichfleischigen Odalisken traf ich mich spontan mit dem klaren Urteil, das die Familiengeschichte Paul zuschrieb.
Nur »zuschrieb«, denn am Ende der Ausstellung entdeckte ich überrascht eine ganze Wand voller riesiger Fotos von der Ausstellung, die Paul 1934 Renoir gewidmet hatte und auf der er eine Auswahl von Werken aus den letzten Jahren des Malers zeigte. Dort fand ich alle Bilder wieder, die den Reichtum der Retrospektive im Grand Palais ausmachten, einschließlich der
Badenden,
die ich heute schlaff und zu rosig finde.
Eines der Bilder dieser Ausstellung, das unter seinem amerikanischen Titel
Reclining Nude
bekannt ist, hatten meine Großeltern 1956 dem New Yorker MoMA geschenkt: Es war der erste Renoir in diesem Museum, das ihn erst vor ein paarJahren verkaufte, um dafür einen van Gogh zu kaufen – die amerikanischen Museen dürfen ihre Bilder verkaufen und andere kaufen. Nun war es eine der Attraktionen in der Ausstellung im Grand Palais 2009, eines jener Bilder, die nach deren eigenen Worten sowohl Picasso als auch Matisse inspiriert haben.
Paul hat zwei seiner Besuche in Renoirs Atelier sorgsam festgehalten: am 21. November 1919, kurz vor Renoirs Tod, und am
6.
Dezember 1919 bei seiner Beerdigung. Im November findet er den alten Maler in seinem Atelier ganz hinten in seinem Anwesen Les Collettes in Cagnes: »Er schien sich zu freuen, mich zu sehen, und obwohl er mir abgemagert erschien, war er immer noch heiter, froh zu malen, und lausbübisch, wie er es wohl immer gewesen ist. (…) Ich brachte ihm die Fotografie einer Corot-Figur mit, die ich gerade erworben hatte, und er sagte: ›Corot steht im 19. Jahrhundert ganz für sich, er gehört allen Zeiten an.‹
Vor Sonnenuntergang brachte man Renoir vom Atelier in die Villa zurück (…). In einen Pelz gemummelt und mit einer Mütze auf dem Kopf saß er in einem Tragsessel. Ich ging barhäuptig neben ihm her und sprach über das schöne Schauspiel der Natur. Olivenbäume säumten den Weg, Frauen pflückten die reifen Oliven, Kinder spielten, Hunde ruhten sich in den letzten Sonnenstrahlen aus, und die Frauen sagten ›Guten Abend, Monsieur Renoir‹, die Kinder hörten zu spielen auf und die Hunde liefen zu ihrem Herrn. Und er neigte den Kopf wie ein Hohepriester und antwortete mit seinem gutmütigen Lächeln ›Guten Abend, guten Abend‹.
In diesem Augenblick wurden das Meer, das man zwischenden immer knorriger wirkenden Olivenbäumen sah, blauer, die Frauen schöner und die Sonne wärmer, sie
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