Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
durchscheint, zu der ich noch kommen werde.
Ein vierseitiger, handschriftlicher Brief, den Paul am 2. Dezember 1939 (der Zeitpunkt spielt hier allerdings natürlich eine große Rolle) an Matisse schrieb, zeigt ihn auch eher gequält. Er antwortet dem an seiner Kunst zweifelnden Maler auf dessen wehmütigen Brief: »Mir scheint, Sie wollen zu viel vom Leben«, schreibt Paul. »Denn was ist das Leben? Eine Viertelstunde Glück, der Rest sind Sorgen, Leiden und Zweifel! Wollen Sie noch privilegierter sein, als Sie schon sind, wollen Sie die himmlische Gabe, etwas zu erschaffen, sich auszudrücken,ohne die Mühen, die damit verbunden sind? Jeder bezahlt für das, was er hat, mit dem, was er nicht hat (…).
Warum sollten Sie nicht zweifeln? Genau das gibt Ihnen doch die Kraft, den Ausdruck von Jugend und schöpferischer Energie, der in Ihren Werken liegt. Glauben Sie denn, dass die anderen keine Zweifel haben? (…) Ich bin voll davon, ich habe dieselben Anfälle von Verzweiflung wie Sie (…) Schauen Sie unseren Freund Picasso an, der nicht nur diesen Zweifel hat, sondern überdies eine Unruhe, die ihn nie verlässt. (…) Sind Sie sicher, dass Corot nicht ebenso gezweifelt hat wie Cézanne, der Meister aller Meister und größte Märtyrer neben Michelangelo? (…) Wir streben alle unwiderruflich nach einem Ideal, das wir nie erreichen werden, und zum Glück, sage ich, denn das wäre das Ende des Lebens. (…) Wenn Sie wüssten, wie verzweifelt ich darüber bin, nicht selbst aktiv zu sein, (…) wären Sie ruhiger, denn Sie können sich zumindest in Ihre Kunst flüchten.«
Die Klage, Vermittler zu sein und nicht Schöpfer, findet sich öfter in seinen Briefen. Auch in dem vom 28. Dezember 1949, wieder an Matisse: »Wenn ich nur etwas erschaffen könnte, wenn Gott mir diese Gabe geschenkt hätte, würde ich es mit grenzenlosem Vergnügen tun. Aber ach, ich muss mich damit begnügen, mich an der Bewunderung zu erfreuen, die ich für die Schöpfungen anderer empfinde, zu denen Ihre Werke gehören.«
Menschen, die ihn nicht so gut kannten, beschreiben ihn dagegen feuriger. Pierre Nahon zeichnet das Bild eines »mittelgroßen Mannes von ausgesuchter Eleganz (…), [der] tatkräftig und hartnäckig« eine kühne Politik betreibt. Für ihn ist Paul einer der wichtigsten französischen Kunsthändler des20. Jahrhunderts. »Er hat ein seltenes Gespür, ein exzellentes Auge, und er hat Beziehungen in der feinen Gesellschaft.«
Nach Alfred Daber – 1920 bis 1970 ein großer Kunsthändler –, »begann er am ganzen Leib zu zittern wie ein ungeduldiges Kind, wenn er ein Werk sah, das er begehrte. Das Zittern hörte erst wieder auf, wenn er das Bild bekommen hatte.«[ 11 ]
René Gimpel[ 12 ] zeichnet allerdings gelegentlich ein weniger schmeichelhaftes Bild: »Ein Fuchsgesicht mit zu kurz geratener Schnauze. Vorstehende, körnige Backenknochen.« Warum dieses unfreundliche Porträt? Wahrscheinlich weil Gimpel mit Marie Laurencin befreundet war, die sich manchmal bei ihm beklagte, dass Paul sie anfuhr, wenn sie ihn um einen Zuschuss zu ihrem Taschengeld bat, um die Rechnung für ihre Chanel-Mäntel zu bezahlen. »Dann bestellen Sie eben keine mehr!«, hätte Paul, ihrer Klagen überdrüssig, sie abgespeist, was den Zorn der Dame auslöste.
Doch nach den vielen Briefen zu urteilen, die ich von ihr gelesen habe, beklagte sich Marie zwar oft über ihre Armut, hatte Paul jedoch sehr gern und später auch meine Mutter. Die Korrespondenz ist sehr herzlich. »Meine liebste Marie«, schreibt Paul und fügt hinzu: »darf ich das sagen, ohne unschicklich zu sein?«
Diese Frau, einst die Geliebte Apollinaires, stach durch sehr feminine, anmutige Bilder aus dem dominierenden Kubismus hervor. Heute ist es Mode, sie uninteressant zu finden, ihre Bildergelten als »Bilder fürs Boudoir in Grau und Rosa«, aber mich bezaubern und rühren sie. Anmut in einer Zeit, in der die Zeichen auf Bruch standen; weiche Linien, während Léger seine in Form und Farbe gewaltigen industriellen Strukturen malte.
Hinkte Marie Laurencin ihrer Zeit hinterher? Eher war sie in einer brutalen Welt so fehl am Platz, dass sie für mich etwas Erfrischendes hat. Betrachte ich sie nur deshalb mit Nachsicht, weil sie mich auf Wunsch meiner Großeltern gemalt hat, als ich vier Jahre alt war? Das erzwungene Stillsitzen war für das kleine Mädchen, das ich damals war, eine Qual. Ich soll vorlaut zu ihr gesagt haben: »Achtung, meine Augen sind blau!« Lächelnd belohnte
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