Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
drückten ihre Bewunderung für diesen Mann aus, der es verstanden hatte, der Maler der Frau, der Natur und der Sonne zu sein.«[ 4 ]
Zwei Wochen später kehrte Paul nach Les Collettes zurück, um an Renoirs Begräbnis teilzunehmen, der am 3. Dezember gestorben war. Er war einer der wenigen Menschen, die zur Beerdigung einer der Symbolgestalten der französischen Kunst des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts angereist waren.
»Sein Sarg ruhte auf einem einfachen, mit alten Straußenfedern geschmückten Leichenkarren ohne Pferde. (…) Der Trauerzug setzte sich in Bewegung, auf der abschüssigen Straße von Les Collettes in das Dörfchen Cagnes wurde der Karren von den Männern gebremst. Eine Kirche, oder eher ein sehr einfacher Schuppen mit grob zusammengenagelten Bänken nahm die Menge und Freunde aus der Nachbarschaft auf, der Sarg stand vor dem Altar gegen zwei zweiflüglige Türen, deren Jalousien heruntergelassen waren.
Der Gottesdienst begann, er war schlicht, ohne Reden, ohne Musik, ohne Gepränge, wie es sich Renoir gewünscht hätte. Der Priester, sein Freund, ein hochgewachsener Mann, sprach die rituellen Gebete, aber so bewegt, dass die ganze Versammlung mitgerissen wurde: Eine Eloge auf den großen Maler, den großherzigen Menschen und großen Gläubigen, der trotz seiner scheinbaren Aufsässigkeit gegen die Religion immer die Schönheit der Natur gefeiert hatte (…) Ich dachte, zu anderen Zeiten, in anderen Epochen hätte er ein Staatsbegräbnis erhalten.«[ 5 ]
Abgesehen von dem erwähnten Bericht über seine beruflichen Anfänge schrieb Paul sehr wenig, hie und da ein Vorwort oder einen Artikel für eine Kunstzeitschrift. Aber keine Memoiren. War er zu beschäftigt, zu schüchtern, zu nachlässig, zu depressiv oder zu klarsichtig? Dabei war er begierig nach Anerkennung. Und doch unternahm er nichts, um sie durch Theoretisierung seiner Ansichten über die Kunst zu befördern.
Es gibt also wenig Schriftliches von Paul Rosenberg, an das man sich halten kann. Ich kann nicht einmal sagen, wie er den Ersten Weltkrieg erlebt hat. Ich habe keine Briefe von der Front gefunden – wahrscheinlich sind sie in den Wirren des Jahres 1940 verloren gegangen –, die er an seine noch ganz junge, sehr hübsche Frau geschrieben haben muss, die er einen Monat vor Kriegsbeginn geheiratet hatte. 1914 wie all seine Altersgenossen eingezogen, wurde er 1916 aus Gesundheitsgründen aus dem Militär entlassen. Damals schon das Magengeschwür, das ihn sein Leben lang quälte. Ich habe nur ein vergilbtes Foto von ihm als einfacher Soldat mit Schnurrbart, auf dem er allen Frontsoldaten dieses Krieges gleicht.
Auch kaum Aussagen über seine politischen Ansichten. Er war in den Vierzigerjahren, in der Zeit von France libre, ein glühender Bewunderer von de Gaulle, doch nach dem 13. Mai 1958[ 6 ] kehrte er sich heftig von ihm ab und war von da an erklärter Antigaullist. Er lebte zwar in New York, aber er konnte die französische Arroganz – die für den General konstitutivwar, wie man sagte – gar nicht heftig genug geißeln, was meine Eltern dazu zwang, ein Regime und einen Präsidenten gegen ihn zu verteidigen, den auch sie nicht mehr bewunderten wie noch 1940. Aber ob man will oder nicht, die V. Republik und ihr Gründer standen für einen gewissen Neubeginn in Frankreich, was in den USA verkannt wurde, wo die französische Außenpolitik seither immer kritisiert und vor allem oft nicht verstanden wurde.
Paul Rosenberg, der als Angehöriger der Bourgeoisie geboren ist und gelebt hat, war ein gemäßigter Linker. Im Gymnasium hatte er gegen die Anti-Dreyfusards gekämpft und Jaurès bewundert und 1936 für die Volksfrontregierung gestimmt. Auf seine Art, das heißt im Kunsthandel, kämpfte er gegen die faschistischen Ideen, die Europa vergifteten, und unterstützte im Zweiten Weltkrieg mit seinen eigenen Aktivitäten und durch seinen Sohn, der in der 2. Panzerdivision kämpfte, den kämpferischen Gaullismus.
In den Fünfzigerjahren äußerte er sich in vielen Briefen wie dem an meine Mutter aus dem Jahr 1952 besorgt über die schwankende IV. Republik und die Rückkehr der Herrschaft des Geldes, das wieder hemmungslos zur Schau gestellt wurde: »Die Masse der Arbeiter, denen es hinten und vorne nicht reicht, die von Entbehrungen leben und deren Bezahlung lächerlich ist, wird sich schließlich erheben (…) Zu viele Luxusautos ausländischer Marken, zu viele Restaurants mit überhöhten Preisen. Zu viel Elend, zu viel
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