Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
sie mich mit zwei leuchtenden, lavendelblauen Kugeln. Das Porträt hing im Schlafzimmer meiner Mutter, aber es fällt mir schwer, mich in diesem kleinen Mädchen im gesmokten blassrosa Kleid und mit blauen, allzu blauen Augen wiederzuerkennen.
Es gibt nur wenige Beschreibungen des Menschen Paul Rosenberg, den ich anhand der privaten Briefe und wenigen persönlichen Bekenntnisse zu vergegenwärtigen versuche; aber viele von dem Galeristen Rosenberg, dem »gewieften, geschmackssicheren Kunsthändler«[ 13 ].
Gewiss, sein Auge war legendär. 1952 schickte er Braque ein Foto zur Authentifizierung eines Bildes, aber er hatte es selbst schon entschieden: »Wenn ich das Messer, die Zitronen und das Kreuz-Ass genau betrachte, halte ich es für sehr zweifelhaft, dass dieses Bild von Dir ist.«[ 14 ]
1954, als es ihm gesundheitlich schlecht ging, schickte erseinen Sohn Alexandre zu einer Versteigerung nach Paris, weil ihn einige Bilder interessierten, und gab ihm nach den Abbildungen im Katalog briefliche Anweisungen: »Der Renoir mit der Nummer 27 ist nicht interessant. Nummer 32, der Vuillard, ist wirklich ein kleines Meisterwerk, Du kannst ihn kaufen. Der Bonnard, Nummer 82, ist nicht schlecht, aber etwas früh. Bei dem Modigliani, Nummer 91, bin ich nicht sicher, ob er echt ist, und die Nummer 95, den Renoir, auf keinen Fall kaufen, das Bild ist zu bekannt, vollständig retuschiert und schon überall in der Welt auf dem Markt angeboten worden!«[ 15 ] Für einen geschwächten alten Mann, der die Bilder lediglich in einer Broschüre sieht, sind diese Ratschläge erstaunlich scharfsinnig …
Dass er sich dieses Instinkts bewusst war, ist noch milde ausgedrückt. Er machte Paul gelegentlich arrogant und eitel. Er hatte hohe Vorstellungen von seiner Begabung und der Bedeutung seines Hauses, von der einzigartigen Qualität der Werke, die er in seiner Galerie und seinen Ausstellungskatalogen zeigte. Er war auch stolz auf die von ihm finanzierten zwei bedeutenden Werkverzeichnisse: zu Cézanne, zusammengestellt von Lionel Venturi und 1936 erschienen, und zu Pissarro, von dessen Sohn Lucien zusammen mit Lionel Venturi erstellt und 1940 erschienen.
Paul zufolge beruhte sein Erfolg darauf, dass er niemals ein Bild um jeden Preis verkaufen wollte. Er sagte immer: »Große Malerei verkauft sich von selbst.«
Er schätzte seine Kollegen und Rivalen, aber nicht übermäßig. Er achtete vor allem Ambroise Vollard, ihrer aller Vorgänger,mit dem er fünfzig Jahre lang verkehrte und der nicht nur der Händler Renoirs, Monets und Pissarros war, sondern zuallererst der Händler und Freund Cézannes. Paul zeichnet in einem seiner Briefe ein hübsches Porträt von Vollard, dessen Verkaufsmethode er übernommen zu haben scheint (aber nicht dessen Askese, denn Vollard hatte bekanntlich in der Rue Lafitte einen armseligen Laden als Galerie, vollgestopft mit offen herumliegenden, völlig verstaubten Bildern und einem Feldbett als einzigem Möbelstück – weit entfernt vom Komfort in der Rue La Boétie 21): »Sie hatten nie das Gefühl, dass er Ihnen etwas verkaufen wollte. Im Gegenteil: Kaum hatte er den Preis des fraglichen Bildes genannt, strich er dem Kunden über den Kragen und fragte ihn, bei wem er seine Anzüge schneidern ließ. Dann redete er von etwas anderem, das nichts mit Bildern zu tun hatte, und überließ den Kunden sich selbst.«
Die Ausstellungen in der Galerie Rosenberg wechselten alle drei Wochen. Mein Großvater hängte sie selbst, eine Zeremonie, die jedem Kunsthändler heilig ist. Erst angesichts der Fülle von Katalogen konnte ich ermessen, welcher Reichtum an Bildern bei ihm zu sehen war.
1962, drei Jahre nach Pauls Tod, schrieb sein Kollege Alfred Daber an meinen Onkel Alexandre, der die New Yorker Galerie weiterführte: »Wie viele schöne Ausstellungen habe ich zwischen 1924 und 1938 bei ihm in der Rue La Boétie gesehen! Manchmal unterhielten wir uns dann bis acht Uhr abends über Dinge, die scheinbar weit von der Malerei entfernt waren, aber zu denen sie uns geführt hatte: Philosophie, Metaphysik. Ich wollte schon damals den Geschmackssinn wieder schärfen,und er sagte mit seinem klaren Sinn für Vernunft, das sei genauso vergeblich, wie wenn man die Wogen des Meeres glätten wollte.«[ 16 ]
Werke von Picasso, Braque, Derain, Matisse, Léger, Laurencin wechselten sich ab mit Bildern von Toulouse-Lautrec (1914), französischen Malern des 19. Jahrhunderts (1917), Ingres und Cézanne (1925), Bonnard (1936) und
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