Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
Glaubensgenossen beschuldigt zu werden, das heißt, geheime Absprachen mit den deutschen Besatzern getroffen zu haben! (…) Bei den Wildensteins ist die Liebe zu Frankreich so groß,dass sie nicht einmal heute deutsche Autos kaufen!«, erklärte ihr Anwalt, Maître Chartier. Ein drolliges Argument, das sechzig Jahre deutsch-französischer Versöhnung überspringt und den Deutschen eine Vergangenheit vorhält, zu deren Überwindung sie viel getan haben. Für mich jedenfalls sind die eventuellen Komplizenschaften von gestern weit schwerwiegender als die deutschen Automobile von heute.
Die Galerie Georges Wildenstein wurde während des Krieges von einem gewissen Roger Dequoy geführt, einem seiner Mitarbeiter. Ab hier widersprechen sich die Aussagen. Den Wildensteins zufolge hatte Georges jede Verbindung zu seinem früheren Mitarbeiter abgebrochen, der ihn sogar in Schreiben an das Kommissariat für Judenfragen beschimpft habe. Die Vorwürfe Felicianos konnten also nur falsche und verletzende Behauptungen sein.
Dem Anwalt Felicianos, Antoine Comte, zufolge soll Dequoy dagegen der Vermittler zwischen Wildenstein und den deutschen Behörden gewesen sein. Als Beweis führte er ein Treffen von Wildenstein, Dequoy und Karl Haberstock[ 2 ] im November 1940 in Aix-en-Provence an. Dort sei eine Übereinkunft getroffen worden: Georges Wildenstein erhielt einen Teil seines konfiszierten Vermögens zurück und konnte die Galerie unter Dequoys Namen wieder eröffnen, der sich im Gegenzug bereit erklärte, für die Nazis zu arbeiten. Eine schwere Beschuldigung, die sich jedoch dem Anwalt zufolge auf 1998 freigegebene Akten des (1945 aufgelösten) Office of Strategic Services stützte, die einen 1945 verfassten Sonderbericht über die Galerie Wildenstein enthielten. Sowohl dieÜbereinkunft zwischen Wildenstein, Dequoy und Haberstock als auch der OSS-Bericht werden in Lynn Nicholas’ Buch
Der Raub der Europa
bestätigt[ 3 ].
In erster Instanz wurde die Klage der Enkel Georges Wildensteins, Alec und Guy, auf sechs Millionen Francs Schadensersatz wegen Rufschädigung ihres Großvaters abgewiesen.
»Das Berufungsgericht«, schrieb
Libération
, »räumt zwar ein, dass es nicht in seiner Macht stehe, ›in dieser Kontroverse eine endgültige Entscheidung zu fällen‹, kommt jedoch zu dem Schluss, dass man Georges Wildenstein mit gutem Grund als eine jener Persönlichkeiten bezeichnen kann, die ›die Zweideutigkeit‹ kultivieren. Er sei zwar ›Opfer des Raubs der Besatzer‹ gewesen, habe aber ›parallel dazu‹ unter der Besatzung ›durch einen Mittelsmann Geschäfte auf dem Pariser Kunstmarkt getätigt‹.
Nach Meinung des Gerichts kann die Behauptung von ›Kontakten Georges Wildensteins mit den Nazis nicht als offensichtlich falsch eingestuft werden‹, wohingegen feststeht, dass ›dieser vor dem Krieg in geschäftlichen Beziehungen zu Karl Haberstock stand, der als einer der künstlerischen Ratgeber des Führers und führende Nazi-Persönlichkeit bekannt ist‹. Während der Besatzung protegierte Haberstock Roger Dequoy (…), der damals die Pariser Galerie leitete und ›bei dem man sich vorstellen kann, dass er seine Beziehungen zu Georges Wildenstein aufrechterhielt‹, der damals als Flüchtling in NewYork lebte. All diese ›Tatsachen lassen die Annahme zu‹, dass der berühmte Kunsthändler, auch wenn Teile seiner Sammlung von den Deutschen geraubt worden sind, ›weiter in Geschäftsverbindungen mit den Besatzern stand‹.«[ 4 ]
Gegen dieses, milde ausgedrückt, unfreundliche Urteil stellten die Wildensteins einen Revisionsantrag. Er führte zu einer weiteren Enttäuschung: Das Gericht erklärte, die Klagefrist sei abgelaufen, die Wildensteins hätten ihre Klage vor Ablauf von drei Monaten nach Erscheinen des Buchs
Le Musée disparu
einreichen müssen.
Kurz, die verwirrende Affäre, über die ich mich hüten werde mehr zu sagen, als was die Justiz festgestellt hat, wirft einen undurchsichtigen Schleier über die Liebesgeschichte meiner Großmutter.
Hat diese Beziehung lange gedauert? Die Regeln haben sich seither geändert, und niemand würde sie heute verdammen. Aber was war dieser Mann wirklich, der sich zwischen meine Großeltern schob? Ein hartnäckiger Verehrer oder ein Rivale, der entzückt war, seinen Konkurrenten aus der Fassung zu bringen? War dieser Mann es wert, dass sie sich in ihn vernarrte? Ich weiß es nicht.
Und wer war meine Großmutter wirklich? Eine heißblütige Frau, die sich nach Liebe
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