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Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sinclair
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ichverstand nicht, warum sie beeindruckender sein sollten als die in der Apotheke Zitomer an der Ecke zur 78. Straße.
    Meine Großeltern hatten ein gemeinsames Schlafzimmer, aber mit getrennten Betten und Badezimmern, was mich immer verblüfft hat. Der Fernseher stand in ihrem Schlafzimmer, und dort sah ich meine ersten Western, die echten, mit Cowboys, Indianern, im Kreis aufgestellten Planwagen und brennenden Pfeilen. Auch die ersten Fernsehshows, die Frauen in weiten New-Look-Röcken und Twinsets mit rundem Ausschnitt. Selten waren sie Moderatorinnen und nie Journalistinnen, sondern sie machten die heute herrlich altmodische Reklame für die hellblau oder rosa lackierten amerikanischen Straßenkreuzer, die Detroits Reichtum und später sein Ruin waren und die man heute nur noch in Kuba findet: Das ewige »In my Chevrolet / in the USA« aus den Fünfzigerjahren klingt mir jetzt noch in den Ohren.
    New York, das war Schnee, Schlittenfahren im Central Park, minus zwanzig Grad im Dezember und der Zauber der Weihnachtsmänner, die vor Bloomingdale’s, den New Yorker Galeries Lafayette, ihre Glöckchen schwangen, um die Kundschaft anzulocken. New York, das waren die vor Schlagsahne überquellenden »chocolate sundaes« in modernen Bars mit roten Skailederbänken, meine ersten Zeichentrickfilme von Walt Disney und Berge von traumhaftem Spielzeug bei FAO-Schwarz in der 58. Straße, an der Ecke Fifth Avenue und Central Park, um die der eisigste Wind von New York pfeift, aber wo uns Kindern schnell wieder warm wurde beim Anblick der riesigen Plüschtiere, die niemand kaufte, aber die uns ins Träumen brachten.
    New York, das war vor allem einen Monat lang schulfrei.Aber mit Mathenachhilfestunden von meiner Mutter, die mir angesichts meiner Unfähigkeit, die Berechnung von Flächen zu verstehen, schließlich Papier und Bleistifte an den Kopf warf und prophezeite, ich würde es nie im Leben zu irgendetwas bringen. Jene Bleistifte, mit denen die Amerikaner auf linierte gelbe Blocks schreiben – die
Legal Pads
aus der Serie
Mad Man
–, deren Papier im Vergleich zu dem Glanzpapier meiner Pariser Schulhefte von miserabler Qualität ist. Noch fünfzig Jahre später sehe ich im Fernsehen Obamas Berater aus dem West Wing kommen, mit denselben Blocks und dem unvermeidlichen gespitzten Bleistift in der Hand und ganz ahnungslos, wie der die Backen eines Kindes, das eine Null in Mathe ist, zerkratzen kann!
    Das ist die nostalgische Seite der USA, wo die Geschäfte immer noch eher die alten Holztüren mit den runden, vergoldeten Türknäufen haben als jene großen Glastüren, die sich am Eingang auch der kleinsten französischen Apotheke automatisch öffnen.
    New York, das waren schließlich die endlosen Diskussionen zwischen meinen Eltern und Großeltern über Frankreich, das »im Niedergang« war, auch wenn die Nachrichten aus der instabilen IV. Republik nur wie gedämpft hier ankamen. Politik? Natürlich wurde darüber geredet. Als ich klein war, kam sie mir wie ein geheimnisvolles, ernsthaftes Universum der Großen vor, in das ich das unerhörte Glück hatte eingeweiht zu werden.
    Schon sehr früh wollte ich das »große Mädchen« spielen, wenn ich etwas nicht verstand. Noch bevor ich zwei Jahre alt war, äffte ich meine Eltern nach und tat, als läse ich die
New York Times
, auch wenn ich sie verkehrt herum hielt. Mit vierJahren setzte ich ein konzentriertes Gesicht auf, wenn mein Vater mich rief, um mit mir über »ernsthafte Dinge« zu reden, wie er sagte. Das war zu der Zeit, als die Regierungen fast monatlich stürzten. Mein Vater wandte sich dann oft an mich: »Anne, die Lage ist ernst, das Kabinett ist gestürzt.« »Oh!«, sagte ich, vom Schrecken dieser apokalyptischen Vision durchdrungen, die das für ein kleines Mädchen darstellen mochte. »Wir müssen etwas tun«, fuhr mein Vater fort und verkniff sich das Lachen, »ich nehme das Außenministerium.« »Und ich den Zug«, antwortete ich unweigerlich, obwohl ich kein Wort verstand, aber voller Entzücken, dass mein vergötterter Vater mich als ernsthafte Gesprächspartnerin betrachtete.
    Mein Großvater lachte dann schallend, und ich war sehr stolz, meine Umgebung zum Lachen zu bringen, ohne zu begreifen, was an meiner Antwort so lustig war. Die ersten Schritte in politischen Diskussionen habe ich also in der 79. Straße gemacht! Sie war für mich damals gleichbedeutend mit Glück, Verwöhntwerden und Ferien. In den ersten Jahren fuhren meine Eltern und ich mit dem

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