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Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sinclair
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sehnte, oder eine vom schönen Schein faszinierte Snobistin? Mein Großvater war – in dem Sinn, den dieses Wort früher hatte – ein guter Ehemann, aber wenig begeisternd. Meine Großmutter wollte das sorglose Leben der Zwischenkriegsjahre auskosten, sie war mit Sicherheit genussfreudiger als ihr Mann und liebte den Glanz. Sie wolltetanzen, sich amüsieren, geliebt werden. Er dagegen hatte nur zum Arbeiten Lust. Der klassische Fall der romantischen Emma mit ihrem schwerfälligen Charles Bovary?
    Aber mein Großvater war weder ein Langweiler noch ein durchschnittlicher kleiner Beamter, sondern ein wacher, für Neuerungen offener Geist. Vielleicht hätte es ja genügt, wenn er sich einen Moment von seinen Picassos losgerissen und den reizenden, wohlgerundeten Renoir entdeckt hätte, der in seinem Bett lag.
      1 Der Autor von
Le Musée disparu
      2 Haberstock war Hitlers Kunsthändler, vgl. S. 30 in diesem Buch.
      3 »Haberstock und Dequoy fuhren nach Aix, wo [Wildenstein] sich aufhielt, und trafen einige Übereinkünfte mit ihm. Der Vorschlag war: Wildenstein sollte ›akzeptable‹ Bilder aus seinem Lager gegen für die Nazis inakzeptable moderne Werke eintauschen, die Haberstock ihm in die USA schicken wollte und die Wildenstein in seiner New Yorker Galerie zum Verkauf anbieten sollte.« Lynn Nicholas,
Der Raub der Europa
, op. cit.
      4 Artikel von Vincent Noce, »L’Histoire contre Wildenstein«,
Libération
vom 13. Mai 2000

PI-AR-ENCO
    N EW YORK, DIE STADT , in der die Familie einst Zuflucht gefunden hat, und außerdem mein Geburtsort. Das Familienarchiv befindet sich noch in der 79. Straße, in dem vierstöckigen Gebäude, das Sitz der letzten Galerie Rosenberg war.
    Als mein Großvater im Herbst 1940 mit Frau und Tochter ankam, wohnte er zuerst weiter im Zentrum, in der 57. Straße, wo er 1941 seine Galerie eröffnete, und zog erst dreizehn Jahre später um. Ich erinnere mich kaum an die 57. Straße. Paul hatte diese Stadtvilla gemietet – sie gehörte der Königin von England, die über einen beträchtlichen Immobilienbesitz in Manhattan verfügt –, aber er war das alte Haus bald leid, und zudem wollte er in seinen eigenen vier Wänden leben.
    So kaufte er von Chester Dale, einem seiner besten Kunden und berühmten Sammler, das Haus in der 79. Straße, zwischen der Madison und Fifth Avenue, und nach langen Renovierungsarbeiten zog die Familie 1953 ein. Paul war einundsiebzig und hatte nur noch sechs Jahre zu leben. Er überließ die Leitung der Galerie mehr und mehr meinem Onkel Alexandre, der sein Nachfolger wurde.
    Das wohlhabende Viertel in der Upper East Side, langweilig, aber chic – seither von der lebendigeren Lower East Side abgelöst –, war in den Fünfzigerjahren geschäftlich keineschlechte Wahl. Als mein Großvater sich dort niederließ, kam die Gegend unter den Galeristen in Mode, und nach und nach zogen alle Konkurrenten und Auktionshäuser, die wie er in »Midtown« residiert hatten, in die Nähe seiner neuen Adresse.
    Paul Rosenberg and Company stand draußen auf dem Schild, PR & Co. In meinen Kinderohren klang das wie »Pi-ar-enco«, und ich fragte mich immer, wer die Person mit diesem komischen Namen wohl war, die mit uns zusammenwohnte.
    Ich habe dort so viele Weihnachten verbracht, dass New York bis vor Kurzem für mich einen betörenden Duft hatte. Meine Eltern und ich sind schon vor langer Zeit nach Frankreich zurückgekehrt, aber ich habe das Haus in der 79. Straße mit seinen vertrauten Ecken und Winkeln immer geliebt. Es gehört jetzt meiner Tante Elaine, der Witwe von Alexandre.
    Zu beiden Seiten der Treppe standen einst Rodin-Skulpturen,
Der Denker
und
Das eherne Zeitalter.
Aber der schwarzweiße Schachbrettboden in der Eingangshalle – fast der gleiche wie in der Rue La Boétie – ist immer noch da, auch die Ausstellungsräume, in die ich als Kind nicht hineindurfte, und der Fahrstuhl mit seiner Metallschiebetür, in den Fünfzigerjahren der letzte Schrei, heute fast eine Antiquität, dessen Geräusche und rüttelndes Abbremsen auf jedem Stockwerk ich immer noch in- und auswendig kenne. Die Stockwerke werden auf amerikanische Art gezählt, ohne Erdgeschoss; wenn man in den ersten Stock wollte, drückte man auf den Knopf mit der Ziffer 2. Meine Großeltern wohnten im zweiten Stock, ich sollte also die 3 drücken, aber ich stieg manchmal schon im ersten aus, in der Hoffnung, jene »Kunden« zu sehen, von denen mein Großvater in so bedeutungsvollem Ton sprach, und

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