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Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Sinclair
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ich liebte Dich mit ganzer Seele und spürte, dass Du mir entglittest. Ach, man hat Dir trügerische Versprechen für die Zukunft gemacht, um Dich besser zu umgarnen, Versprechen, die zudem nie gehalten wurden, aber Du glaubtest wirklich an sie, als ob das Glück nicht in der Ehrfurcht vor der Eintracht einer Familie bestünde.«
    Pauls Familie stammte aus dem Osten und hatte sicher die Ängste der Juden Mitteleuropas mitgebracht. Seine Frau, aus einer seit Langem in Frankreich integrierten Familie und deshalb unbeschwerter und leichtsinniger, brauchte Liebe und bekam meist nur Geld. Wie konnte man 1930 noch annehmen, dass einer Frau »die Ehrfurcht vor der Eintracht einer Familie« genügte? Auf der anderen Seite lockte sie ein Verehrer mit dem schönen Leben und dem Flitter einer Gesellschaft, die, wie man weiß, in dieser Zwischenkriegszeit bis an den Rand des Abgrunds tanzte. Doch Paul mit seinem düsteren, pessimistischen Naturell war schon dort.
    »Du warst schön, bei anderen amüsant, von vielen Männern umschwärmt und begehrt, doch während Du glaubtest, Dein Glück zu bauen, hast Du uns beide ins Unglück gestürzt. (…) Deine Sarkasmen, als Du Dich auf Deinen sogenannten Beschützer stütztest, den mein geliebter Sohn, hoffe ich, eines Tages zur Rechenschaft ziehen wird, Deine Art, mir zu antworten ›zu spät‹, wenn ich Dir meine Liebe erklärte, haben meinen Charakter verdüstert, und ich musste wieder und wieder Trost und Vergessen in der Arbeit suchen.«
    Meine Großmutter langweilte sich. Vielleicht war sie auch frivol, empfänglich für Luxus und den schönen Schein. Das dachte zumindest mein Großvater.
    »Ich schreibe Dir das alles kurz vor meiner Abreise, damit Du erfährst, meine liebe Margot, dass Du aus Ehrgeiz, aus dem Wunsch zu scheinen, zu besitzen nach Reichtum strebtest. Was mich angeht, habe ich immer nur den Wunsch gehabt, Euch glücklich zu machen, die Kinder und Dich, und Euch bei mir eine Sicherheit zu verschaffen, die Euch alle unabhängig macht. Ja, Margot, ich kann es Dir jetzt nicht mehr vorwerfen, die Zeit heilt alle Wunden, aber die meine blutet immer noch um das verlorene Glück. Damit Dein Herz nicht allzu sehr schmerzt, damit die Reue nach meinem Tod Dich nicht zu sehr betrübt, nehme ich gern einen Teil der Verantwortung auf mich. Mein Charakter, ich gebe es zu, ist unbeugsam, und ich wäre sehr froh gewesen, wenn ich in Dir einen weniger skeptischen, tiefgründigeren Menschen gefunden hätte, mit dem ich Gedanken hätte austauschen, meine Bestrebungen hätte teilen und über anderes als Nichtigkeiten hätte plaudern können. Auch wenn Du im Grunde gutherzig bist, sind doch Dein Geist und Dein Auffassungsvermögen mit einem ernsthaften, liebenden und hingebungsvollen Mann kaum vereinbar.«
    Anklagend. Strenge kann einem Scheuklappen aufsetzen. Jedenfalls glaube und hoffe ich, dass meine Großmutter nie von diesem Brief erfahren hat.
    Sie wollte die Scheidung, mein Großvater verweigerte sie. Ihre Ehe war gesetzlich eine Zugewinngemeinschaft, und Liebe und Zorn waren wohl nicht der einzige Grund für seine Weigerung. Fest steht, dass Margot von dem Moment an, alssie auf ihr Leben als Geliebte verzichtete und ihre Bedürfnisse als Frau opferte, Paul dafür teuer bezahlen ließ, indem sie sich ganz aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzog und die Aufgaben nicht mehr erfüllte, die die Frau eines großen Pariser Händlers in den Augen meines Großvaters hatte.
    Sechzig Jahre danach taucht der Name Wildenstein in den Zeitungen auf. Zerstreut lese ich den Klatsch, bei dem man nie sicher sein kann, ob er stimmt oder nicht, über Erbschaftsprozesse, zweifelhafte Expertisen und Ermittlungen der Steuerbehörden. Die Franzosen mögen große Vermögen nicht, und das dieser Kunsthändlerfamilie, deren Geschäfte weiter florierten, gehört sicher dazu. Vielleicht sind das alles nur Gehässigkeiten.
    Doch dann fällt mir eine Affäre vor etwa zehn Jahren wieder ein. Damals erhob die Familie Wildenstein gegen Hector Feliciano[ 1 ] eine Verleumdungsklage, weil er behauptete, Georges Wildenstein, der vermutliche Liebhaber meiner Großmutter, habe geheime Abkommen mit den Nazis geschlossen. Nun, nachdem ich gerade diese private Geschichte entdeckt habe, mache ich mich auf die Suche nach den Einzelheiten.
    Der Prozess fand 1999 statt. Die Familie Wildenstein hatte sich damals empört: »Was gibt es Schrecklicheres für eine jüdische Familie, als des Verrats an Frankreich und an ihren

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