LIEBES ABENTEUER
taktvoll? »Ich bin kein großer Fischfan, deshalb ist das mit dem Essen etwas schwierig. Aber ich mag die Menschen.« Und das stimmt.
Mrs. Greenwood lacht. »Ich werde nie unsere ersten Mahlzeiten vergessen, als Cal und ich frisch nach China ausgereist waren. Ich konnte nicht kochen und ließ immer den Reis anbrennen. Ich wusste nicht, dass etwas, das man in Wasser kocht, anbrennen kann. Aber wenn nicht genügend Wasser im Topf ist, kann man scheinbar alles anbrennen. Cal war der Ansicht, dass es kein gutes Beispiel wäre, wenn wir immer essen gehen würden. Also stellte er eine ältere Chinesin an, die mir alles beibrachte. Ich glaube, am Anfang hat die Chinesin über mich gelacht.«
»Inzwischen kocht sie natürlich wie ein Profi«, fügt Dr. Greenwood hinzu. »Und sie hat es unserer Tochter schon als kleines Kind beigebracht. Als Sara dann zum Studium nach Amerika zurückkam, hat sie für ein paar arme Theologiestudenten gekocht, und jetzt habe ich einen Schwiegersohn. Sie sind nach Hawaii in die Mission gegangen.«
»Du hast mir nie gesagt, dass du eine Schwester hast, Seth.«
»Du hast mich nie gefragt.«
Wieder schlägt Mrs. Greenwood gegen die Rückenlehne des Fahrersitzes, und ich muss ein Lachen unterdrücken. »Wir hatten immer vorgehabt, China zu verlassen, wenn unsere Kinder erwachsen sind. Aber jetzt ist es unsere Heimat. Da Sara in Hawaii ist und Seth nach Indien geht, gibt es für uns kein richtiges Zuhause mehr. Unsere Familie führt ein Zigeunerleben.«
Ich glaube, Seths Mutter ist die sanftmütigste Person, der ich je begegnet bin. In ihrer Nähe spürt man förmlich Gottes Gegenwart. Sein Vater ist zwar schwerfällig und altmodisch, aber wenn er seine Frau ansieht, hat er immer noch diesen gewissen Blick. Es ist das Gleiche wie mit John und Brea, sie haben etwas ganz Wertvolles. Eigentlich müsste Seth sich wünschen zu heiraten. Er müsste sich danach sehnen, das Gleiche zu haben wie sein Vater, aber er tut es nicht. Ich würde Seths Mutter so gerne erzählen, dass er die Risiko-Phase mit links gemeistert hat und direkt dazu übergegangen ist, die Brücken abzubrechen. Während wir uns unterhalten, driften meine Gedanken ab.
»Wie lange bleiben Sie hier?«, frage ich.
»Wir werden einen Monat hier sein. Dr. Greenwood kennt einen Herzspezialisten, und wir kommen alle zwei Jahre einmal her, damit er sich untersuchen lässt.«
Ich schaue zu Seths Vater, der gebaut ist wie ein Soldat der Marines, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Herzproblem hat.
»Wir sind auch gekommen, um Seth zu besuchen, Evelyn«, sagt Dr. Greenwood.
»Stimmt«, erwidert Mrs. Greenwood. »Aber wenn er jetzt nach Indien geht, wird das einfacher. Werden Sie ihn vermissen?«, fragt sie mich. Seth schaut mich im Rückspiegel an. Seine leuchtend blauen Augen werden von den Scheinwerfern hinter uns angestrahlt.
»Ich werde ihn vermissen, aber Seth muss tun, was er tun muss.«
»Ich will, dass Ashley mit mir kommt, Mutter«, erklärt Seth.
»Sie wollen Seth nicht heiraten? Ihr beide scheint wie füreinander geschaffen«, bedauert Mrs. Greenwood. Und ich spüre, wie die Tränen anfangen, mir in den Augen zu brennen. Wie erkläre ich ihr, dass er mir noch keinen Antrag gemacht hat, ohne ihn als Versager hinzustellen?
»Über das Thema haben wir noch nicht gesprochen«, sage ich schließlich lächelnd, und Mrs. Greenwood nimmt meine Hand in ihre.
Dann spricht sie wieder. »Es ist schon so lange her, dass ich bei Marie Callendar Kuchen gegessen habe. Ich habe schon davon geträumt. Ich überlege, ob ich das Abendessen auslasse und direkt zum Nachtisch übergehe. Was meinen Sie, Ashley?«
»Ich denke, wenn Sie den weiten Weg von China hierher gemacht haben, sollten Sie tun, was Ihr Herz begehrt.«
»Wir sind erst seit neun Monaten miteinander befreundet«, platzt Seth dazwischen. Ich vermute, das ist seine verspätete Antwort auf die Frage nach unserer Beziehung, aber ich schäme mich einfach nur für ihn.
»Dein Vater und ich haben uns sechs Wochen gekannt«, erwidert Mrs. Greenwood. Dann dreht sie sich wieder zu mir. »Zitronen-Baiser und Erdbeer-Rhabarber. Damit werde ich anfangen. Was ist mit Ihnen, Ashley? Machen Sie mit?«
»Schokoladenkuchen«, sage ich und versuche, die Tatsache zu ignorieren dass Seth soeben verkündet hat, dass wir nicht heiraten werden und dass alles schon längst vor diesem Fiasko von Abendessen entschieden war.
Der Rest des »Nachtmahles«, wie Mrs. Greenwood es nennt, ist eine
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