Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
hielt, hörte ich meine Mutter und die Frau, mit der sie sich jetzt zusammengetan zu haben schien, von dem reden, was schlimmer als alles andere war.
Sadie ansehen.
Ja, sagte meine Mutter. Natürlich müssen wir uns Sadie ansehen.
Die tote Sadie.
Ich hatte so gut wie ständig die Augen niedergeschlagen und hauptsächlich die beiden Jungen gesehen, die kaum größer waren als ich, und die alten Leute, die auf dem Sofa saßen. Aber jetzt nahm meine Mutter mich bei der Hand und ging in eine andere Richtung.
Ein Sarg hatte die ganze Zeit über im Zimmer gestanden, aber ich hatte ihn für etwas anderes gehalten. Aufgrund meines Mangels an Erfahrung. Ich wusste nicht genau, wie so ein Ding aussah. Ein Bord, um Blumen darauf unterzubringen, hätte der Gegenstand, dem wir uns jetzt näherten, sein können, oder ein geschlossenes Klavier.
Vielleicht hatten die Leute darum herum irgendwie seine wahre Größe und Form, seinen wahren Zweck verborgen. Aber jetzt machten diese Leute respektvoll Platz, und meine Mutter sprach mit einer neuen, sehr leisen Stimme.
»Komm jetzt«, sagte sie zu mir. Ihre Sanftheit klang für mich böse, triumphierend.
Sie beugte sich vor, um mir ins Gesicht zu schauen, und zwar, da war ich mir sicher, um mich daran zu hindern, das zu tun, was mir gerade eingefallen war – die Augen fest zuzukneifen. Dann wandte sie ihren Blick von mir ab, behielt jedoch meine Hand fest in der ihren. Es gelang mir, die Lider zu senken, sobald sie mich nicht mehr ansah, aber ich schloss sie nicht ganz, damit ich nicht stolperte oder jemand mich direkt dahin schob, wo ich nicht sein wollte. Ich konnte nur einen Wust steifer Blumen sehen und den Glanz von poliertem Holz.
Dann hörte ich meine Mutter schniefen und spürte, wie sie sich zurückzog. Mit einem Klicken wurde ihre Handtasche geöffnet. Sie musste eine Hand dort hineinstecken, deshalb ließ ihr Griff nach, und es gelang mir, mich von ihr loszumachen. Sie weinte. Ihre Beschäftigung mit ihren Tränen und der laufenden Nase hatte mich befreit.
Ich blickte direkt in den Sarg und sah Sadie.
Der Unfall hatte ihren Hals und ihr Gesicht verschont, aber all das sah ich nicht sofort. Ich hatte nur den allgemeinen Eindruck, dass nichts an ihr so schlimm war, wie ich befürchtet hatte. Ich schloss rasch die Augen, aber das half nichts, ich musste wieder hinschauen. Zuerst auf das kleine gelbe Kissen, das unter ihrem Hals lag und irgendwie auch ihre Kehle und ihr Kinn bedeckte und die eine Wange, die ich ohne weiteres sehen konnte. Der Trick bestand darin, schnell etwas von ihr anzusehen und dann mit dem Blick zum Kissen zurückzukehren, und beim nächsten Mal ein bisschen mehr zu schaffen, vor dem ich keine Angst mehr hatte. Und dann war es Sadie, alles von ihr oder zumindest alles, was ich auf der Seite sehen konnte, die zur Verfügung stand.
Etwas bewegte sich, ich sah es, ihr Augenlid auf meiner Seite bewegte sich. Es öffnete sich nicht ganz oder auch nur halb oder irgend so etwas, sondern hob sich nur ein ganz klein wenig, wodurch es möglich würde, wenn man sie wäre, wenn man in ihr steckte, unter den Wimpern hervorzuspähen. Nur um vielleicht zu unterscheiden, was draußen hell war und was dunkel.
Das überraschte mich nicht und machte mir überhaupt keine Angst. Sofort fügte sich dieser Anblick in alles ein, was ich von Sadie wusste, und irgendwie auch in die Erlebnisse, die mit mir zu tun hatten. Und ich dachte nicht im Traum daran, jemand anders darauf aufmerksam zu machen, denn es war nicht für andere gemeint, nur für mich allein.
Meine Mutter hatte mich wieder bei der Hand genommen und sagte, dass wir nun gehen würden. Es wurden noch einige Worte gewechselt, aber mir kam es so vor, als wäre kaum Zeit vergangen, und schon waren wir draußen.
Meine Mutter sagte: »Eine gute Erfahrung für dich.« Sie drückte meine Hand und sagte: »Also dann. Es ist vorbei.« Sie musste stehen bleiben und mit jemandem reden, der auf dem Weg zum Haus war, und dann stiegen wir ins Auto und machten uns auf die Heimfahrt. Mich beschlich ein Gefühl, dass sie es gern hätte, wenn ich etwas sagte oder ihr sogar etwas erzählte, aber ich tat es nicht.
Es gab nie irgendeine andere Erscheinung dieser Art, und Sadie verschwand sogar recht bald aus meinen Gedanken, nicht zuletzt wegen des Schocks der Schule, wo ich lernte, irgendwie mit einer seltsamen Mischung aus panischer Angst und Angeberei meinen Weg zu gehen. Tatsächlich war Sadies Bedeutung schon in jener
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