Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Öffentlichkeit erteilen. Nicht jedes Mal, wenn sie aus dem Haus gehen, deswegen angesprochen werden möchten. Aber der Pfarrer verbarg sein Unbehagen, so gut er konnte, und es musste ihn ein wenig entschädigen, mit einer jungen Frau zu reden, die so aussah wie Leah.
»Wir sollten das besprechen«, sagte er. »Machen Sie jederzeit einen Termin.«
Ray gab zu verstehen, dass er losmusste.
»War schön, Sie zu sehen«, sagte er zu Leah und nickte dem Geistlichen zu.
Er ging weiter, im Besitz von zwei kleinen Neuigkeiten. Wenn sie versuchte, Vereinbarungen für die Sonntagsschule zu treffen, hatte sie vor, einige Zeit hierzubleiben. Und sie hatte sich doch nicht ganz von all der Frömmigkeit verabschiedet, die ihr in ihrer Kindheit eingetrichtert worden war.
Er freute sich darauf, ihr wieder zu begegnen, aber das ergab sich nicht.
Als er nach Hause kam, erzählte er Isabel, wie sich das Mädchen verändert hatte, und sie sagte: »Das hört sich ja dann doch ziemlich nach dem Üblichen an.«
Sie schien ein bißchen gereizt zu sein, vielleicht, weil sie darauf gewartet hatte, dass er ihr Kaffee machte. Ihre Hilfe kam erst um neun, und ihr war, nachdem sie sich dabei verbrüht hatte, streng verboten, es selber zu versuchen.
Es ging bergab, mit mehreren Schrecknissen für beide bis zur Weihnachtszeit, danach nahm Ray sich Urlaub. Sie brachen auf in die Großstadt wegen der Spezialisten, die es dort gab. Isabel wurde sofort ins Krankenhaus aufgenommen, und Ray gelang es, in einem der Zimmer unterzukommen, die für Angehörige von außerhalb zur Verfügung standen. Plötzlich hatte er keine Pflichten, außer Isabel jeden Tag viele Stunden lang zu besuchen und darauf zu achten, wie sie auf die verschiedenen Behandlungen ansprach. Anfangs versuchte er, sie mit lebhaften Gesprächen über die Vergangenheit abzulenken oder mit seinen Beobachtungen im Krankenhaus und seinen flüchtigen Eindrücken von anderen Patienten. Er unternahm jeden Tag Spaziergänge, trotz des Wetters, und erzählte ihr auch alles darüber. Er brachte eine Zeitung mit und las ihr die Nachrichten vor. Schließlich sagte sie: »Liebling, das ist so gut von dir, aber es ist wohl vorbei.«
»Was ist vorbei?«, entgegnete er, aber sie sagte: »Ach, bitte«, und danach begnügte er sich damit, stumm ein Buch aus der Krankenhausbücherei zu lesen. Sie sagte: »Mach dir keine Sorgen, wenn ich die Augen zuhabe. Ich weiß, du bist da.«
Sie war vor einiger Zeit von der Intensivstation in ein Zimmer mit vier Frauen verlegt worden, die mehr oder weniger im gleichen Zustand wie sie waren, obwohl eine sich gelegentlich aufraffte, um Ray zuzurufen: »Gib uns einen Kuss.«
Dann kam er eines Tages herein und fand in Isabels Bett eine andere Frau vor. Einen Augenblick lang dachte er, sie sei gestorben, und niemand habe es ihm gesagt. Aber die redselige Patientin im Bett schräg gegenüber krähte: »Oben.« Mit einem Anflug von Fröhlichkeit oder Triumph.
Und das war passiert. Isabel war an jenem Morgen nicht aufgewacht und in ein anderes Stockwerk verlegt worden, wo anscheinend die Patienten verstaut wurden, bei denen keine Aussicht auf Besserung bestand – noch weniger Aussicht als im vorigen Zimmer –, die sich aber weigerten, zu sterben.
»Sie können ruhig nach Hause gehen«, wurde ihm gesagt. Man würde ihn informieren, sobald eine Veränderung eintrat.
Das leuchtete ein. Er hatte nicht nur alle ihm zustehende Zeit in den Angehörigenzimmern aufgebraucht, sondern auch mehr als den ihm zustehenden Urlaub von der Polizei in Maverley. Alles sprach dafür, dorthin zurückzukehren.
Stattdessen blieb er in der Stadt. Er fand Arbeit beim Putzdienst des Krankenhauses, räumte auf, wienerte und wischte. Er besorgte sich eine möblierte Einzimmerwohnung, mit nur dem Notwendigsten darin, nicht weit weg.
Er fuhr nach Hause, aber nur für kurze Zeit. Sobald er angekommen war, traf er Vorkehrungen zum Verkauf des Hauses mit allem, was darin war. Er suchte sich dafür geeignete Immobilienmakler und überließ ihnen das Feld, sobald er konnte; er mochte niemandem irgendetwas erklären. Ihm lag nichts mehr an dem, was dort geschehen war. All die Jahre in der Stadt, alles, was er über sie wusste, schien einfach von ihm abzufallen.
Ihm kam allerdings etwas zu Ohren, als er da war, etwas wie ein Skandal über den Pfarrer der vereinigten Kirche, der versuchte, seine Frau dazu zu bewegen, sich von ihm wegen Ehebruchs scheiden zu lassen. Ehebruch mit einem
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