Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
anderen zu setzen.
Was er mit sich trug, alles, was er mit sich trug, war ein Mangel, etwas wie ein Mangel an Luft, am korrekten Funktionieren seiner Lunge, eine Beschwernis, die wahrscheinlich nie aufhören würde.
Das Mädchen, die junge Frau, mit der er geredet hatte und die er von früher kannte – sie hatte von ihren Kindern gesprochen. Dem Verlust ihrer Kinder. Sich daran zu gewöhnen. Ein Problem zur Abendbrotzeit.
In Sachen Verlust routiniert, konnte man von ihr sagen – er selbst im Vergleich dazu ein Neuling. Und jetzt konnte er sich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Er war ihm abhandengekommen, obwohl er ihn gut gekannt hatte. Verloren, Verlust. Ein Scherz auf seine Kosten, wenn man so wollte.
Er stieg gerade seine Treppe hoch, da fiel er ihm ein.
Leah.
Eine Erleichterung über alle Maßen, sich an sie zu erinnern.
Kies
Z u jener Zeit wohnten wir neben einer Kiesgrube. Keiner großen, von riesigen Maschinen ausgehöhlten, nur einer kleineren, mit der sich ein Farmer vor Jahren etwas Geld verdient hatte. Sie war so flach, dass man meinen konnte, es habe eine andere Absicht dahinter gestanden – Ausschachtungen für ein Haus vielleicht, zu dem es dann nie gekommen war.
Meine Mutter war es, die beharrlich darauf aufmerksam machte. »Wir wohnen bei der alten Kiesgrube draußen an der Straße mit der Tankstelle«, erzählte sie den Leuten und lachte, weil sie so glücklich war, alles losgeworden zu sein, was mit dem Haus, der Straße, dem Ehemann verbunden war, mit dem Leben, das sie zuvor geführt hatte.
Ich kann mich kaum an jenes Leben erinnern. Das heißt, ich erinnere mich deutlich an Teile davon, aber ohne die Verbindungen, die man braucht, um sich ein richtiges Bild zu machen. Alles, was ich von dem Haus in der Stadt behalten habe, ist die Tapete mit Teddybären in meinem alten Zimmer. In diesem neuen Haus, das eigentlich ein Wohnwagen war, hatten meine Schwester Caro und ich schmale Pritschen übereinander. Nach dem Umzug redete Caro anfangs viel mit mir über unser altes Haus, wollte mich dazu bringen, mich an dies oder jenes zu erinnern. Sie tat das, wenn wir im Bett lagen, und unser Gespräch endete meistens damit, dass ich mich nicht erinnern konnte und sie böse auf mich wurde. Manchmal meinte ich mich zu erinnern, aber aus Widerborstigkeit oder aus Angst, mich zu irren, stritt ich es ab.
Es war Sommer, als wir in den Wohnwagen umzogen. Wir nahmen unseren Hund mit. Blitzee. »Blitzee gefällt es hier«, sagte meine Mutter, und das stimmte. Welchem Hund würde es nicht gefallen, eine Straße in der Stadt, sogar eine mit großzügigen Rasenflächen und geräumigen Häusern, gegen das weite offene Land einzutauschen? Sie gewöhnte sich an, jedes Auto anzubellen, das vorbeifuhr, als wäre die Straße ihr Eigentum, und hin und wieder brachte sie ein Eichhörnchen oder ein Murmeltier an, das sie getötet hatte. Anfangs fand Caro das ganz entsetzlich, und Neal redete auf sie ein, sprach von der Natur eines Hundes und der Nahrungskette des Lebens, in der einige Wesen andere Wesen essen mussten.
»Sie kriegt doch ihr Hundefutter«, argumentierte Caro, aber Neal sagte: »Und was, wenn nicht? Wenn wir eines Tages alle verschwinden, und sie für sich selbst sorgen muss?«
»Das werd ich nicht«, sagte Caro. »Ich werde nicht verschwinden, und ich werde mich immer um sie kümmern.«
»Meinst du?«, fragte Neal, und unsere Mutter mischte sich ein, um ihn davon abzubringen. Neal war stets bereit, über die Amerikaner und die Atombombe loszulegen, und unsere Mutter fand, wir seien für das Thema noch zu klein. Sie wusste nicht, dass ich, wenn er es zur Sprache brachte, dachte, er redete von einer Atompumpe. Ich wusste, dass an dieser Deutung etwas nicht stimmte, aber ich hütete mich davor, Fragen zu stellen und ausgelacht zu werden.
Neal war Schauspieler. In der Stadt gab es ein Sommertheater, zu der Zeit etwas Neues, was bei einigen Begeisterung auslöste und bei anderen die Besorgnis, es könnte Gesindel in die Stadt bringen. Meine Mutter und mein Vater hatten zu denen gehört, die dafür waren, meine Mutter engagierter, denn sie hatte mehr Zeit. Mein Vater war Versicherungsvertreter und viel unterwegs. Meine Mutter hatte diverse Spendenaktionen für das Theater ins Leben gerufen und ihre Dienste als Platzanweiserin kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie war jung und hübsch genug, um für eine Schauspielerin gehalten zu werden. Sie hatte auch angefangen, sich wie eine Schauspielerin zu
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