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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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gekannt.
    Er teilte ihr kurz mit, wie es Isabel ging. Das ließ sich inzwischen nur noch kurz mitteilen.
    »Reden Sie mit ihr?«, fragte sie.
    »Nicht mehr so viel.«
    »Sollten Sie aber. Man darf nicht aufhören, mit ihnen zu reden.«
    Wieso bildete sie sich ein, über alles Bescheid zu wissen?
    »Sie sind wohl gar nicht überrascht, mich zu sehen? Sie haben es also gehört?«, fragte sie.
    Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
    »Nun«, sagte er.
    »Schon eine Weile her, seit ich hörte, Sie sind hier und so, also hab ich wohl einfach gedacht, Sie wüssten auch von mir hier.«
    Er verneinte.
    »Ich mache Entspannungsübungen«, erzählte sie ihm. »Ich meine, für die Krebspatienten. Wenn ihnen danach ist.«
    Er sagte, vermutlich sei das eine gute Idee.
    »Prima. Ich meine, für mich auch. Mir geht’s so weit gut, aber manchmal kriege ich die Krise. Ich meine, besonders zur Abendbrotzeit. Da kann’s sein, dass es schlimm wird.«
    Sie merkte, dass er nicht wusste, wovon sie redete, und erklärte es ihm, vielleicht sogar bereitwillig.
    »Ich meine, ohne die Kinder und so. Sie haben nicht gewusst, dass ihr Vater sie hat?«
    »Nein«, sagte er.
    »Ach so. Weil die nämlich meinten, seine Mutter kann für sie sorgen. Er ist ja bei den Anonymen Alkoholikern und so, aber die hätten nicht so entschieden, wenn sie nicht gewesen wäre.«
    Sie schniefte und wischte fast achtlos Tränen weg.
    »Keine Sorge – ist nicht so schlimm, wie’s aussieht. Ich weine einfach automatisch. Weinen tut ganz gut, solange man’s nicht zum Beruf macht.«
    Der Mann bei den Anonymen Alkoholikern musste der Saxophonspieler sein. Aber was war mit dem Pfarrer, und was war überhaupt passiert?
    Geradeso, als hätte er sie laut gefragt, sagte sie: »Ach ja. Carl. Das Geschwafel von wegen, alles ganz großartig und so? Ich muss nicht ganz richtig im Kopf gewesen sein.«
    »Carl hat wieder geheiratet«, fuhr sie fort. »Damit hat er sich besser gefühlt. Ich meine, weil er irgendwie drüber weg war über das, was er mit mir hatte. Es war wirklich komisch. Er hat doch tatsächlich einen anderen Pfarrer geheiratet. Sie wissen, dass Frauen jetzt Pfarrer werden dürfen? Na, sie ist einer davon. Er ist also so was wie die Frau des Pfarrers. Ich finde das zum Brüllen.«
    Dies lächelnd und mit trockenen Augen. Er wusste, es kam noch etwas, hatte aber keine Ahnung, was es sein könnte.
    »Sie müssen schon ganz schön lange hier sein. Haben Sie ’ne eigene Wohnung?«
    »Ja.«
    »Sie kochen sich jeden Tag was und alles?«
    Er bejahte.
    »Ich könnte das hin und wieder für Sie machen. Wär das eine gute Idee?«
    Ihre Augen hatten sich aufgehellt, blickten ihn an.
    Er sagte, vielleicht, aber eigentlich gebe es in seiner Wohnung nicht genug Platz für zwei Personen, um sich gleichzeitig darin zu bewegen.
    Dann sagte er, dass er schon seit zwei Tagen nicht mehr bei Isabel vorbeigeschaut hatte und es jetzt tun musste.
    Sie nickte nur zustimmend. Sie schien nicht verletzt zu sein oder sich abgewiesen zu fühlen.
    »Also bis dann.«
    »Bis dann.«
     
     
    Sie hatten ihn überall gesucht. Isabel war schließlich fortgegangen. Sie sagten »fortgegangen«, als sei sie aufgestanden und habe das Krankenhaus verlassen. Noch vor einer Stunde hatte jemand nach ihr geschaut, und da war sie wie immer, und nun war sie fortgegangen.
    Er hatte sich oft gefragt, welchen Unterschied es machen würde.
    Aber die Leere an ihrer Stelle war bestürzend.
    Er schaute die Schwester verwundert an. Sie dachte, er fragte sie, was er als Nächstes tun musste, und begann es ihm zu sagen. Ihn zu informieren. Er verstand sie gut, war aber in Gedanken woanders.
    Er hatte gedacht, das mit Isabel sei schon vor langem passiert, doch nein. Erst jetzt war es passiert.
    Sie hatte existiert, und jetzt existierte sie nicht mehr. Überhaupt nicht mehr, als hätte sie nie existiert. Und nun eilten Leute umher, als könnte diese ungeheuerliche Tatsache durch vernünftige Maßnahmen aus der Welt geschafft werden. Doch auch er unterwarf sich den Gepflogenheiten, unterschrieb, wo es von ihm verlangt wurde, bezüglich des Verbleibs der – wie sie sagten – Überreste.
    Was für ein denkwürdiges Wort – »Überreste«. Wie etwas, das in einem Speiseschrank vergessen worden war, um zu schwärzlichen Schichten auszutrocknen.
    Gar nicht lange, und er fand sich draußen auf der Straße wieder, tat so, als hätte er einen ebenso normalen und guten Grund wie alle anderen, einen Fuß vor den

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