Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
irritiert von der Veränderung in ihrem Leben. Er kam jetzt seltener, konnte dafür aber länger bleiben. Er wohnte inzwischen in Toronto, arbeitete aber immer noch für dieselbe Firma. Seine Kinder waren Teenager oder schon auf dem College. Die Mädchen machten sich sehr gut, die Jungen nicht ganz so, wie er es sich gewünscht hätte, aber so waren Jungen eben. Seine Frau arbeitete in Vollzeit und manchmal darüber hinaus im Büro eines Provinzpolitikers. Ihr Gehalt war lächerlich, aber sie war glücklich. Glücklicher, als er sie je erlebt hatte.
Im letzten Frühling war er mit ihr nach Spanien geflogen, als Geburtstagsüberraschung. Corrie hatte einige Zeit lang nichts von ihm gehört. Er hätte es geschmacklos gefunden, ihr aus dem Geburtstagsurlaub zu schreiben. So etwas würde er nie tun, und sie hätte es auch nicht gern gesehen.
»Man sollte meinen, mein Haus ist ein Heiligtum, so, wie du dich aufführst«, sagte Corrie, als er zurück war, und er sagte: »Ganz recht.« Er liebte inzwischen alles an diesen großen Räumen mit den stuckverzierten Decken und den dunklen, düsteren Täfelungen. Sie hatten etwas vollkommen Absurdes. Aber er konnte nachvollziehen, dass es für sie anders war und dass sie hin und wieder hinausmusste. Sie fingen an, kleine Fahrten zu unternehmen, dann etwas längere mit Übernachtungen in Motels – obwohl immer nur für eine Nacht – und Mahlzeiten in gehobeneren Restaurants.
Sie begegneten nie jemandem, den sie kannten. Früher wäre ihnen das passiert – davon waren sie überzeugt. Jetzt war alles anders, obwohl sie nicht wussten, warum. Etwa, weil es für sie nicht mehr so gefährlich war, selbst wenn es geschah? Denn die Leute, denen sie hätten begegnen können und es nie taten, hätten sie nicht verdächtigt, das sündige Paar zu sein, das sie immer noch waren. Er hätte sie, ohne Probleme zu bekommen, als eine Cousine vorstellen können – eine lahme Verwandte, bei der er eben mal vorbeischaute. Er hatte tatsächlich Verwandte, von denen seine Frau nie etwas hatte wissen wollen. Und wen hätte eine angejahrte Geliebte, die ein Bein nachzog, gekümmert? Niemand hätte sich so etwas gemerkt, um es in einem gefährlichen Moment auszuplaudern.
Wir haben neulich Howard getroffen, in Bruce Beach, war das seine Schwester, die er dabeihatte? Er sah gut aus. Vielleicht seine Cousine. Die hat doch gehinkt?
Spekulationen darüber schienen kaum der Rede wert.
Sie schliefen natürlich immer noch miteinander. Manchmal mit Rücksicht auf eine schmerzende Schulter, ein empfindliches Knie. Sie waren in der Hinsicht immer konventionell gewesen und blieben es, sie beglückwünschten sich dazu, dass sie keine künstlichen Stimulantien brauchten. Die waren für Verheiratete.
Manchmal füllten sich Corries Augen mit Tränen, und sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter.
»Es ist bloß, dass wir so glücklich sind«, sagte sie.
Sie fragte ihn nie, ob er glücklich sei, aber er gab ihr indirekt zu verstehen, dass er es war. Er sagte, er habe in seiner Arbeit konservativere oder vielleicht auch nur weniger optimistische Ideen entwickelt. (Sie behielt den Gedanken, er sei schon immer recht konservativ gewesen, für sich.) Er nahm Klavierstunden, zur Überraschung seiner Frau und seiner Kinder. Es war gut, so ein eigenes Interessengebiet zu haben, in einer Ehe.
»Bestimmt«, sagte Corrie.
»Ich wollte damit nicht sagen …«
»Ich weiß.«
Eines Tages – es war im September – kam Jimmy Cousins in die Bibliothek, um ihr zu sagen, dass er ihren Rasen an diesem Tag nicht mähen konnte. Er musste auf dem Friedhof ein Grab ausheben. Für jemanden, der früher hier gelebt hatte.
Corrie, mit dem Finger in
Der große Gatsby
, erkundigte sich nach dem Namen des Verstorbenen. Sie sagte, es sei interessant, wie viele Leute – oder jedenfalls deren Leichen – hier wieder auftauchten und mit dieser letzten Bitte ihre Verwandten plagten. Sie mochten ihr ganzes Leben in näheren oder ferneren Großstädten verbracht haben und dort ganz zufrieden gewesen sein, hatten aber kein Verlangen danach, dort zu bleiben, wenn sie tot waren. Alte Leute setzten sich so was in den Kopf.
Jimmy sagte, es sei keine so alte Person. Der Name lautete Wolfe. Der Vorname war ihm entfallen.
»Nicht etwa Lillian? Lillian Wolfe?«
Konnte sein.
Und ihr Name stand tatsächlich da, im Bibliotheksexemplar der Lokalzeitung, die Corrie nie las. Lillian war in Kitchener gestorben, im Alter von
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