Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
nicht«, rief er ihr ins Gedächtnis. Er sah die Leute kaum noch, wusste nicht, ob Lillian noch bei ihnen arbeitete.
Corrie hatte sie auch nicht mehr gesehen. Lillians Familie lebte draußen auf dem Land, und falls sie ihre Angehörigen besuchte, so fuhren sie mit ihr eher nicht in diese Stadt zum Einkaufen, denn mit der war es rapide bergab gegangen. In der Hauptstraße gab es jetzt nur noch ein Lädchen, in dem die Leute Lotto spielten und Dinge einkauften, die ihnen gerade ausgegangen waren, sowie ein Möbelgeschäft, in dem immer dieselben Tische und Sofas unverändert im Schaufenster standen und dessen Tür nie offen zu sein schien – und vielleicht auch nie sein würde, bis der Besitzer in Florida starb.
Nachdem Corries Vater gestorben war, hatte eine große Firma die Schuhfabrik übernommen und versprochen – wie Corrie meinte –, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Innerhalb eines Jahres jedoch war das Gebäude leer, alle brauchbaren Maschinen in eine andere Stadt fortgeschafft, nichts übrig bis auf ein paar altmodische Werkzeuge, die früher einmal etwas mit der Herstellung von Stiefeln und Schuhen zu tun gehabt hatten. Corrie setzte sich in den Kopf, ein kleines Museum für diese Dinge einzurichten. Sie selbst würde es betreiben und Führungen geben, bei denen sie beschrieb, wie früher dort gearbeitet wurde. Es war erstaunlich, wie sachkundig sie wurde, mit Hilfe einiger Fotografien, die ihr Vater zur Illustrierung eines Vortrags hatte anfertigen lassen, den er vielleicht selbst – das Manuskript war schlecht getippt – vor dem Frauenbildungsverein gehalten hatte, als der sich mit dem örtlichen Handwerk beschäftigte. Am Ende des Sommers hatte Corrie schon ein paar Besucher herumgeführt. Sie war überzeugt, dass es im nächsten Jahr vorangehen würde, nachdem sie ein Schild an der Landstraße aufgestellt und einen Artikel für einen Touristenprospekt geschrieben hatte.
Im zeitigen Frühjahr schaute sie eines Morgens aus ihrem Fenster und sah mehrere Fremde, die anfingen, das Fabrikgebäude abzureißen. Es stellte sich heraus, dass der Vertrag, von dem sie meinte, er erlaubte ihr die Benutzung des Gebäudes, solange sie dafür Miete zahlte, ihr nicht gestattete, irgendwelche Gegenstände, die sich darin befanden, auszustellen oder sich anzueignen, ganz egal, wie lange sie als wertlos gegolten hatten. Ohne Frage gehörte ihr dieses alte Eisenzeug nicht, und sie konnte sogar von Glück sagen, dass die Firma – die früher so entgegenkommend zu sein schien – sie nicht vor Gericht zerrte, nachdem bekanntgeworden war, was sie vorhatte.
Wenn Howard nicht gerade den Sommer, in dem sie dieses Projekt in Angriff nahm, mit seiner Familie in Europa verbracht hätte, hätte er sich ihren Vertrag mit der Firma genau ansehen können, und ihr wäre eine Menge Ärger erspart geblieben.
Macht nichts, sagte sie, als sie sich beruhigt hatte, und bald fand sie ein neues Betätigungsfeld.
Es begann mit ihrer Entscheidung, dass sie ihr großes leeres Haus satthatte – sie wollte hinaus, und so nahm sie die öffentliche Bücherei am Ende der Straße ins Visier.
Die befand sich in einem hübschen, überschaubaren Backsteinbau und war eine Carnegie-Stiftung, also nicht leicht abzuschaffen, auch wenn sie nur noch von wenigen Leuten benutzt wurde – nicht annähernd genug, um das Gehalt einer Bibliothekarin zu rechtfertigen.
Corrie ging zwei Mal pro Woche hin, schloss die Türen auf und setzte sich an den Schreibtisch der Bibliothekarin. Sie wischte in den Regalen Staub, wenn sie Lust dazu hatte, und rief Leute an, die laut der Unterlagen seit Jahren Bücher ausgeliehen hatten. Manchmal behaupteten die Leute, die sie erreichte, dass sie von dem Buch noch nie gehört hatten – es war von einer Tante oder Großmutter ausgeliehen worden, die früher gerne las und jetzt tot war. Sie sprach dann von Bibliothekseigentum, und manchmal tauchte das Buch tatsächlich im Rückgabefach auf.
Das einzig Unangenehme daran, in der Bibliothek zu sitzen, war der Lärm. Der wurde von Jimmy Cousins veranstaltet, der den Rasen um das Bibliotheksgebäude mähte und immer wieder von vorn anfing, wenn er damit fertig war, weil er nichts anderes zu tun hatte. Also beauftragte sie ihn damit, die Rasenflächen um ihr Haus zu mähen – was sie sonst selbst getan hatte, um sich Bewegung zu verschaffen, aber bei ihrer Figur hatte sie das eigentlich nicht nötig, und bei ihrer Lahmheit brauchte sie dafür ewig.
Howard war ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher