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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Corrie, als er meinte, es ihr nicht länger verschweigen zu dürfen. »Bist du sicher, sie hat es so geschrieben?«
    »Ganz sicher.«
    Er hatte den Brief sofort verbrannt, hatte sich davon besudelt gefühlt.
    »Dann hat sie einiges dazugelernt«, sagte Corrie. »Ich habe sie immer für verschlagen gehalten. Ich nehme an, sie umzubringen kommt nicht in Betracht?«
    Er lächelte nicht einmal, also sagte sie ganz ernst: »Ich mache nur Spaß.«
    Es war April, aber immer noch kalt genug, um sich ein Feuer zu wünschen. Sie hatte vorgehabt, ihn darum zu bitten, das ganze Abendbrot über, aber seine sonderbare, düstere Stimmung hatte sie davon abgehalten.
    Er erzählte ihr, dass seine Frau eigentlich gar nicht zu dem Essen hatte hingehen wollen. »Es ist alles einfach schieres Pech.«
    »Du hättest auf sie hören sollen«, sagte sie.
    »Es ist das Schlimmste«, sagte er. »Das Schlimmste, was passieren konnte.«
    Beide starrten in den schwarzen Kamin. Er hatte sie nur einmal berührt, zur Begrüßung.
    »Das nicht«, sagte Corrie. »Nicht das Schlimmste. Nein.«
    »Nein?«
    »Nein«, sagte sie. »Wir könnten ihr das Geld geben. Es ist eigentlich nicht viel.«
    »Ich habe nicht …«
    »Nicht du. Ich.«
    »Auf keinen Fall.«
    »Doch.«
    Sie zwang sich, leichthin zu sprechen, aber ihr war eiskalt geworden. Denn was, wenn er nein sagte? Nein, das kann ich nicht zulassen. Nein, das ist ein Zeichen. Ein Zeichen, dass wir aufhören müssen. Sie war sicher, etwas Ähnliches hatte sich in seiner Stimme, in seinem Gesicht niedergeschlagen. All das alte Zeug über die Sünde. Das Böse.
    »Für mich ist das nichts«, sagte sie. »Und selbst, wenn du es dir leicht beschaffen könntest, wärst du nicht fähig, es zu tun. Du hättest das Gefühl, du nimmst es deiner Familie weg – wie könntest du?«
    Familie. Das hätte sie nicht sagen dürfen. Nicht dieses Wort.
    Doch sein Gesicht hellte sich auf. Er sagte: Nein, nein, aber in seiner Stimme lag Zweifel. Und da wusste sie, es würde kein Problem sein. Nach einer Weile, als er wieder fähig war, an Praktisches zu denken, fiel ihm noch etwas aus dem Brief ein. Es musste in Scheinen sein. Schecks konnte sie nicht gebrauchen.
    Er sprach, ohne aufzuschauen, wie über etwas Geschäftliches. Scheine waren auch für Corrie am besten. Die würden sie nicht kompromittieren.
    »Prima«, sagte sie. »Es ist sowieso keine astronomische Summe.«
    »Aber sie darf nicht erfahren, dass wir es so sehen«, warnte er.
    Ein Postfach sollte auf Lillians Namen eingerichtet werden. Die Scheine sollten in einem an sie adressierten Umschlag dort zwei Mal jährlich hinterlegt werden. Die Daten würden von ihr festgelegt werden. Nie einen Tag zu spät. Oder, wie sie sich ausgedrückt hatte, sie könnte sonst anfangen, sich Sorgen zu machen.
    Er berührte Corrie immer noch nicht, außer bei dem dankbaren, fast förmlichen Abschied. Das Thema muss von dem, was zwischen uns ist, getrennt bleiben, schien er sagen zu wollen. Wir fangen ganz neu an. Wir werden wieder das Gefühl haben können, dass wir niemandem weh tun. Nichts Falsches tun. So hätte er es mit seinen Worten gesagt, die unausgesprochen blieben. Mit ihren eigenen Worten machte sie eine halb scherzhafte Bemerkung, deren Witz nicht ankam.
    »Wir haben jetzt schon zu Lillians Ausbildung beigetragen – so schlau war sie früher nicht.«
    »Wir wollen aber nicht, dass sie noch schlauer wird. Und noch mehr verlangt.«
    »Das lassen wir auf uns zukommen. Außerdem können wir damit drohen, zur Polizei zu gehen. Sogar jetzt schon.«
    »Aber das wäre das Ende von dir und mir«, sagte er. Er hatte sich schon verabschiedet und wandte den Kopf ab. Sie standen auf der windigen Veranda.
    Er sagte: »Ich könnte ein Ende von dir und mir nicht ertragen.«
    »Ich bin froh, das zu hören«, sagte Corrie.
     
     
    Rasch kam die Zeit, da sie nicht einmal mehr darüber sprachen. Sie händigte ihm die Scheine aus, die schon in einem Umschlag steckten. Anfangs gab er ein kurzes, widerwilliges Knurren von sich, das sich aber später in einen gottergebenen Seufzer verwandelte, als wäre er an eine lästige Pflicht erinnert worden.
    »Wie die Zeit vergeht.«
    »Ja, nicht wahr?«
    »Lillians unrecht Gut«, sagte Corrie gern, und obwohl er diesen Ausdruck anfangs nicht mochte, gewöhnte er sich an, ihn selbst zu benutzen. In der ersten Zeit fragte sie ihn, ob er Lillian je wiedergesehen hatte, ob es weitere Dinnergesellschaften gegeben hatte.
    »So gute Freunde waren das

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