Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Lesungen zu geben, aber nur, wie er sagt, alle Jubeljahre. Er macht keine große Sache aus seiner literarischen Tätigkeit. Manchmal ärgert mich diese Haltung – ich nenne das sein Alles-egal-Ich –, aber ich kann den Gedanken dahinter verstehen. Wenn man mit Pferden beschäftigt ist, sehen alle, dass man beschäftigt ist, aber wenn man damit beschäftigt ist, ein Gedicht zu schreiben, sieht man aus, als sei man in einem Zustand der Untätigkeit, und man kommt sich ein bisschen merkwürdig vor oder ist etwas verlegen, wenn man erklären soll, was vorgeht.
Ein weiteres Problem besteht vielleicht darin, dass er zwar ein eher zurückhaltender Mann ist, dass aber sein bekanntestes Gedicht von der Art ist, die die Leute in dieser Gegend – in der er auch aufgewachsen ist – gerne drastisch nennen. Ziemlich drastisch, habe ich ihn selbst sagen hören, nicht, um sich zu entschuldigen, sondern vielleicht einfach, um jemanden davor zu warnen. Er hat ein Gespür für die Empfindlichkeiten dieser Leute, die, wie er weiß, bestimmte Dinge empörend finden, obwohl er sonst unbedingt für die Freiheit des Wortes eintritt.
Nicht, dass es hier in der Gegend keine Veränderungen gegeben hätte in Hinsicht auf das, was laut gesagt oder auch gedruckt werden darf. Preisverleihungen haben geholfen, ebenso wie Erwähnungen in den Zeitungen.
In all den Jahren an der Highschool habe ich nicht Literatur unterrichtet, wie man erwarten könnte, sondern Mathematik. Als ich dann zu Hause blieb, langweilte ich mich und nahm etwas anderes in Angriff – ich schreibe sorgfältige und hoffentlich unterhaltsame Biographien von kanadischen Romanschriftstellern, die unverdientermaßen in Vergessenheit geraten sind oder nie die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erhalten haben. Ohne Franklin und seinen literarischen Ruf, über den wir nicht weiter reden, wäre ich wohl nie dazu gelangt – ich bin in Schottland geboren worden und hatte eigentlich keine Ahnung von kanadischen Schriftstellern.
Ich hätte Franklin oder irgendeinen Dichter nie zu jenen gezählt, die das Mitleid verdienen, das ich den Romanschriftstellern entgegenbrachte, ich meine, wegen ihres verblassten oder sogar verschwundenen Rufs. Ich weiß nicht genau, warum. Vielleicht bin ich der Meinung, dass Gedichte eher ein Selbstzweck sind.
Die Arbeit gefiel mir, ich hielt sie für lohnend, und nach Jahren im Klassenzimmer war ich froh über das selbstbestimmte Tun und die Stille. Aber es konnte eine Zeit kommen, so gegen vier Uhr nachmittags, da wollte ich mich nur noch entspannen und nicht allein sein.
Und es war um diese Zeit an einem trüben, am Schreibtisch verbrachten Tag, als eine Frau, die Kosmetika verkaufte, an meine Haustür kam. Zu jeder anderen Tageszeit wäre mir ihr Besuch ungelegen gekommen, aber in jenem Augenblick freute ich mich darüber. Sie hieß Gwen, und sie sagte, sie hätte mich bisher noch nicht aufgesucht, weil man ihr gesagt hätte, ich wäre nicht der Typ.
»Was immer das heißt«, sagte sie. »Aber jedenfalls dachte ich mir, soll sie doch einfach für sich selbst sprechen, sie braucht nur nein zu sagen.«
Ich fragte sie, ob sie eine Tasse Kaffee wollte, den ich mir gerade gekocht hatte, und sie sagte, gern.
Sie sagte, sie sei sowieso gerade dabei, für diesen Tag Schluss zu machen. Sie setzte stöhnend ihre Taschen ab.
»Sie tragen kein Make-up. Ich würde auch keins tragen, wenn ich’s nicht von Berufs wegen müsste.«
Wenn sie mir das nicht gesagt hätte, hätte ich ihr Gesicht für so nackt gehalten wie meins. Nackt, fahl und mit einem erstaunlichen Nest von Falten um den Mund. Eine Brille, die ihre Augen größer erscheinen ließ, Augen von hellstem Blau. Das einzig Auffällige an ihr waren ihre goldblonden dünnen Haare mit schnurgeradem Pony.
Vielleicht hatte es sie verlegen gemacht, hereingebeten zu werden. Nervös schaute sie sich immer wieder verstohlen um.
»Lausig kalt heute«, sagte sie.
Und dann überstürzt: »Ich seh hier überhaupt keinen Aschenbecher, wie?«
Ich fand einen im Schrank. Sie holte ihre Zigaretten heraus und lehnte sich erleichtert zurück.
»Sie rauchen nicht?«
»Nicht mehr.«
»Wie so viele.«
Ich schenkte ihr Kaffee ein.
»Schwarz«, sagte sie. »Ah, das einzig Wahre! Ich hoffe, ich habe Sie nicht bei irgendwas gestört. Haben Sie gerade Briefe geschrieben?«
Und unwillkürlich erzählte ich ihr von den vergessenen Schriftstellern, nannte sogar den Namen der Schriftstellerin, mit der
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