LIEBES LEBEN
nach Taiwan, nur um mich dann in irgendwelchem Ruhm sonnen zu können, der wahrscheinlich nie kommen wird?
Mein Arm ist immer noch ausgestreckt, und mein 200 Dollar Schal weht wie eine Siegesfahne hinter mir. Ich werde Silicon Valley besiegen, und zwar auf meine Weise. Zuerst einmal bin ich Christ. Eine selbstbewusste, initiative Frau. An zweiter Stelle bin ich eine Hilfsarbeiterin. Erfolg heißt, seine Begabung auszuleben, nicht die Nachbarn zu beeindrucken.
Ich lasse den Schal los und sehe im Rückspiegel, wie er im Fahrtwind davonschwebt. Dann schalte ich in den vierten Gang runter und trete das Gaspedal durch. Ich bin frei! Ich bin nicht Single, weil es an mir liegt, sondern ich bin Single, weil es Gottes Wille für mich ist.
Immerhin bin ich niemandem Rechenschaft schuldig. Ich kann mir um zehn Uhr abends einen doppelten Espresso bestellen, und niemand kann sagen: »Dann wirst du die ganze Nacht wach bleiben«, wie John es mit Brea macht. Merke: Meinem Ehemann - wenn es ihn denn jemals geben wird - darf es nichts ausmachen, wenn meine Freundin ab und zu zu mir kommt und mit mir kichert, als seien wir bei einer Teenager-Übernachtungsparty.
Gott hat mich nicht in die Technologiehauptstadt der Welt gestellt, um Opfer zu spielen. Er hat mich hierher gestellt, um sein Reich auszubreiten, und wie soll ich das tun, wenn ich immer nur über mein erbärmliches Leben jammere? Brea ist verheiratet. Sie jammert immer noch - nur jetzt eben, dass sie Kinder haben möchte. Es gibt immer etwas zum Jammern. Irgendwo muss man mit der Zufriedenheit anfangen, und ich beschließe, hier auf meiner Lieblingsstrecke, in meinem wunderbaren Cabrio, unter der kalifornischen Sonne, mitten im Winter anzufangen.
Ich greife nach meinem Handy und stecke mir den Kopfhörer ins Ohr. Ich muss zwar das Fenster hochkurbeln, um etwas zu verstehen, aber ich rufe Kays Namen, und die Nummer wird automatisch gewählt. Ich liebe moderne Technik.
»Kay Harding«, meldet sie sich.
»Kay, ich will dir einen Vorschlag machen.«
»Ja?«, entgegnet sie etwas nervös, weil ich sie, ohne einen Termin gemacht zu haben, anrufe.
»Kay«, sage ich mit Überzeugung und versuche, sie in meine neu gefundene Leidenschaft mit hineinzunehmen. »Ich habe im Moment keine Wohnung. Was würdest du sagen, wenn ich bei dir wohne und dafür Miete zahle? Du musst die Frage nicht gleich beantworten, aber ich bin den Kampf einfach leid, immer zu schauen, wie ich über die Runden komme, geschweige denn Abendessen zu kochen! Man muss sich das Leben nicht so schwer machen. Gemeinsam könnten wir es leichter haben.«
»Klar«, sagt sie nur, und ich höre fast die Erleichterung in ihrer Stimme. Ist es möglich, dass sie sich in dem großen Haus einsam fühlt?
»Nein, ich möchte wirklich, dass du dir Zeit lässt für die Entscheidung«, sage ich. Ich will nicht, dass sie mich aus lauter Mitleid bei sich aufnimmt.
»Ich brauche nicht mehr Zeit. Ich hätte gerne eine Mitbewohnerin. Auch wenn ich das Gegenteil behauptet habe, aber ich habe es satt, immer für mich alleine zu kochen. Dieses Haus ist für mich alleine sowieso zu groß. Aber ... wirst du das Wohnzimmer sauber halten?«
»Das werde ich.«
»Und keine wilden Parties?«
»Noch besser: gar keine Parties.«
»Abgemacht. 675 Dollar pro Monat?«
»Achthundert, Kay. Das ist immer noch die Hälfte von dem, was ich mir vorgenommen hatte, für eine Wohnung auszugeben.«
»Wunderbar. Wann willst du einziehen?«
Ich bin für einen Moment still. »Wäre heute Abend zu früh?«, frage ich verlegen.
»Ich lasse dir auf dem Heimweg einen Schlüssel machen.«
Wir verabschieden uns. Na also. Ich werde mit der Herrscherin des Klemmbretts zusammenwohnen; vielleicht lerne ich dann ein bisschen besser zu organisieren. Ich bin über meinen Schatten gesprungen. Ich könnte die ganze Welt aus den Angeln heben. Das erste Problem wäre gelöst, bei 75 km/h mit dem Fahrtwind in den Haaren und dem Kopfhörer im Ohr. Nächstes Problem.
Ich schreie »Seth« ins Mikro.
»Hallo Ashley. Wo warst du? Ich wollte dich nicht anrufen ... weil ich dachte, du bist vielleicht sauer auf mich.«
»Nein, ich bin nicht sauer. Ich bin heute verhaftet worden, bin mal wieder mit einem nicht Christen ausgegangen - ist in letzter Zeit meine Spezialität –, aber ich habe eine Bleibe gefunden, und ich werde mich morgen dranmachen, meine Sachen zurückzuholen. Was treibst du?«
»Ash, hast du was getrunken?«
»Das scheinen in letzter Zeit alle zu
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