LIEBES LEBEN
Gott es niemals zulassen würde, das Dr. Novak etwas zustößt. Er hat ganz offensichtlich noch große Aufgaben vor sich. Ich hasse es, mich zu ihm hingezogen zu fühlen. Es ist so, als fühle man sich zu MatthewMcConaughey hingezogen. Viel Glück. Willst du wirklich einen Mann, der besser aussieht als du? Und abgesehen von alledem gäbe es da auch noch eine Freundin. Wie schäbig.
Kevin kommt auf mich zu, und wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich schwören, dass sich alles in Zeitlupe abspielt. Höre ich Musik? Sein kantiges Gesicht verwandelt sich in ein breites Grinsen, und er spielt definitiv gerade die Hauptrolle in dem Musikfilm in meinem Kopf. Es ist eine Power-Ballade von der Rockband matchbox twenty.
Kevin strahlt eine Haltung aus, die Aufmerksamkeit fordert, und im Augenwinkel sehe ich, dass alle Blicke auf ihn gerichtet sind. Mein eigener Blick ist an ihn gefesselt. Er hat dunkelgrüne Augen wie ein dunkler Wald. Sie wirken mysteriös und dramatisch zugleich. Ich sehe weg, als ich merke, dass er mich entdeckt hat, und dann starre ich ihn an, als sei ich unsichtbar, aber es ist schon mehr als auffällig. Ich muss meine Zunge ganz bewusst im Zaum halten, damit sie mir nicht aus dem Mund fällt und sabbert wie bei einer Dogge.
Ich ziehe den Bauch ein und winke ihm kokett zu. Ich bin eine Weltreisende. Bin eine selbstbewusste, zugelassene, kalifornische Anwältin. Wenn Sie mir nicht glauben, dann schauen Sie doch auf meine teure Kenneth Cole Aktentasche. Ihr weiches, geschmeidiges Leder buchstabiert das Wort »Erfolg« doch förmlich. Wenn ich mich selbst aus der Entfernung sehen würde, käme ich nicht einmal auf den Gedanken, dass man mich wegen meiner eigenen Freundin wie alten Müll hat liegen lassen.
»Ashley!« Er weiß meinen Namen noch. Bleib ruhig, hüpf jetzt nicht rum. Aber es ist, als ob Hugh Jackman selbst meinen Namen wüsste.
»Kevin, hallo. Ich habe gehört, dass du vielleicht auch in dieser Maschine bist.« Ich versuche, die kindischen Gedanken zu verdrängen, dass es vielleicht Schicksal ist, dass er auch in diesem Flugzeug ist und dass wir noch einmal aussteigen mussten und uns so getroffen haben und so weiter. Du hast zu viele Schnulzen gesehen, sage ich mir selbst. Es gibt jede Menge Geschäftsverbindungen zwischen Taiwan und dem Silicon Valley, und heute fliegt nur eine Maschine von San Francisco nach Taiwan. Purer Zufall, sonst gar nichts.
»Hoffen wir mal, dass wir alle in diese Maschine kommen.« Er schüttelt den Kopf, und da sind die sexy Lachfalten um seine Augen. Vielleicht ist er doch nicht mehr so jung, wie ich dachte. So aus der Nähe sieht er noch besser aus, wie eine römische Skulptur oder ein anderes unbezahlbares Kunstwerk. Bei Kevin hat Gott sich selbst übertroffen. Im Moment bin ich mir sicher, dass er das nur getan hat, um mich zu quälen.
Ich lache über seinen kleinen Witz, und es klingt noch nicht einmal gekünstelt. Der Himmel muss mir wohl heute gnädig sein. Ich bin nicht mehr eine aus der Marschband, sondern die Anführerin der Cheerleader.
»Konntest du dich noch von Arin verabschieden? Ich vermute mal, sie ist jetzt Richtung Urwald unterwegs.« Ups, seine Freundin ins Gespräch zu bringen war nicht besonders schlau. Damit lenke ich seine Gedanken auf ihre süßen, nicht vorhandenen Hüften. Und ich bin mal wieder die Amazone. Aber wenigstens bin ich eine ehrliche, fromme Amazone.
Kevins Miene verdüstert sich, und in mir steigt Hoffnung auf wie ein Geysir. »Ich fürchte, Arin und ich haben uns vor ihrer Reise für immer Lebewohl gesagt. Eigentlich schon an dem Tag, als ich dich im Imbiss getroffen habe.« Kevin schaut sich nach den anderen Leuten im Wartebereich um. Das gibt mir die Gelegenheit, sein Gesicht zu beobachten, das kantig und doch sanft ist. Ich frage mich, ob er nicht zu vertrauensselig ist, zu lieb, um es mit einer Frau wie Arin auszuhalten. Gemeinsam strahlen sie viel zu viel Charme aus. Es ist besser, diese Energie aufzuteilen. Ich glaube, Einstein hat kurz vor seinem Tod an dieser Theorie gearbeitet.
»Das mit Arin und dir tut mir leid«, sage ich und muss an meine Schulmädchenträume von ihrer Trennung denken. Haben meine düsteren Gedanken das verursacht? Jetzt kommt die Szene in der er mir erklärt, dass er genug hat von jungen Dummköpfen, und dass unser gemeinsamer Flug nach Taiwan ein Zeichen des Himmels ist, aber ich komme schnell wieder zurück in die Wirklichkeit. »Arin ist sehr freiheitsliebend«, erkläre ich, in
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