LIEBES LEBEN

Zukunft der Technik.
    »Ashley, du hier?« Kevins tiefe Stimme durchbricht meine Gedanken.
    »Kevin?«
    »Das wird ein langer Flug. Ich habe gehört, dass du vielleicht auch hier bist und habe den Sitz neben dir gebucht.«
    »Was wird Arin davon halten?«, frage ich unschuldig. Ich blinzle, als hätte ich keine Kontrolle über mein Schicksal. Das muss das Schicksal sein.
    »Lass sie doch denken, was sie will«, antwortet er mürrisch. Der Strom der Passagiere stockt, als wir mittendrin stehen bleiben und uns leidenschaftlich küssen.
    Sofort überkommen mich Schuldgefühle. Frauen wie ich sind nicht der Typ, der anderen den Freund ausspannt. Und das aus verschiedenen Gründen: allgemeiner Anstand und die fehlende Ausstrahlung, die Leute wie Arin haben. Ich lasse mich in meinen Flugzeugsitz fallen und bin bereit, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen.
    Meine Träume zerplatzen, als der Platz neben mir besetzt wird. Alle Hoffnungen sind zerschmettert. Ich sitze neben einem taiwanesischen Geschäftsmann, der ein angenehmes Lächeln auf dem Gesicht, eine freundliche Art und einen Ehering am Finger hat. Eines muss man von den taiwanesischen Ingenieuren sagen: Sie haben Charakter. Was machen die Amerikaner nur falsch? Und warum muss ich mit ihrem Fehlverhalten leben?
    Während ich warte, bis die übrigen Passagiere eingestiegen sind, entspannen sich meine Gedanken. Ich erinnere mich an alles, was ich diese Woche nicht erledigt habe. Zum einen habe ich vergessen, Seth zurückzurufen. Ich schreibe es dem Schicksal zu. Aber was ist, wenn er angerufen hat, um mir zu sagen, dass alles ein schlimmer Fehler gewesen war? Dass er verstanden hat, was ich ihm an jenem Tag auf dem Parkplatz sagen wollte? Es hätte nichts geändert, aber es wäre einfach ein gutes Gefühl gewesen. Das ist gelogen. Es hätte alles verändert.
    Die vergangene Woche war ein totales Durcheinander ohne den leisesten Erfolg: ergebnislose Wohnungssuche, nicht enden wollende Patententwürfe, alle in Arbeit, nichts Rundes, Abgeschlossenes. Aber ich hatte kein einziges Mal daran gedacht, Seth anzurufen - das ist ein Fortschritt. Ich habe nicht ständig an ihn gedacht!
    Ich hatte mehr Zeit zum Beten und weniger Zeit, mir Sorgen zu machen. Die Tage sind eindeutig wieder freundlicher. Außer natürlich was Seth angeht und die Tatsache, dass ich jetzt doppelt an ihn denke, weil ich zunächst nicht an ihn gedacht habe. Ich wünschte mir, ich könnte ihn einfach abhaken, aber ich mag den Kerl einfach. Er hat null Durchblick, aber er ist trotzdem charmant. Aus Protest bin ich heute nicht zum Gottesdienst gegangen, damit ich Arins extrem gutaussehenden Freund nicht vor der Konkurrenz beschützen musste. Außerdem musste ich dann auch nicht Seths Fragen über Arin abblocken. Vielleicht ist Ausweichen ja die Lösung.
    Der Pilot meldet sich über Lautsprecher. Hoffentlich labert er nicht die ganze Zeit . »Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass wir ein Sicherheitsproblem haben. Wir müssen Sie bitten, noch einmal auszusteigen und sich erneut kontrollieren zu lassen. Bitte nehmen Sie Ihr Handgepäck mit.« Dann wird die Ansage in einer anderen Sprache wiederholt.
    Alle sitzen reglos da und können nicht fassen, dass zwei Stunden Warten und Kontrollen noch nicht sicher genug sein sollen. Schließlich steht einer der Passagiere auf und geht hinaus, und die anderen folgen daraufhin. In der Wartehalle haben sie extra mobile Radargeräte aufgestellt, und wir werden alle gebeten, unser Handgepäck flach auf einen Tisch zu legen, damit sie es willkürlich durchwühlen können. Als wir erneut alle kontrolliert sind, bringen sie uns in einen gesonderten, abgeschlossenen Bereich, wo wir warten müssen, bis das Flugzeug ebenfalls noch einmal gründlich kontrolliert wurde.
    Jetzt bete ich wirklich und bereue es, dass ich nicht im Gottesdienst war. Ich fliege nicht besonders gern, und der Gedanke, dass mein Flugzeug von Polizeihunden nach möglichen terroristischen Aktivitäten durchsucht wird, macht mich etwas nervös.
    Mein Gesicht spannt sich an, und ich spüre, wie sich die Falten tief in meine Haut graben. Die Furche zwischen meinen Augenbrauen wird eindeutig tiefer. In Gedanken muss ich sofort an Botox denken. Bin ich noch zu jung dafür? Als ich so dastehe und meine Falten fühle, sehe ich, wie Kevin Novak gerade mit der Kontrolle fertig ist. Mein Herz macht einen kleinen Salto, und jede Angst vor Terroristen ist verschwunden, weil ich weiß, dass