LIEBES LEBEN
der Hoffnung, damit seine Stimmung aufzuhellen.
»Freiheitsliebend? Das ist ein schönes Wort, um zu sagen, dass Verantwortungsbewusstsein nicht gerade ihre Stärke ist.« Kevin verschränkt die Arme. Sie sind wirklich nicht muskulös, aber sie sind auch nicht dünn und schlaksig. Er ist sehr gut gebaut, aber seine ausgeprägten Kieferknochen lassen ihn kräftig und athletisch erscheinen. Er ist definitiv nicht meine Klasse. Das hasse ich. Ich hasse es auch, dass Seth, dieser Ingenieur mit den weniger werdenden Haaren, nicht meine Klasse ist. Vielleicht sollte ich mich wirklich in Florida umschauen, wie mein Bruder vorgeschlagen hat. Vielleicht ist die Sun-City-Rentner-Baseballmannschaft meine Klasse.
»Irgendwie hat Arin es gut. Ich wünschte mir, Verantwortungsbewusstsein wäre nicht meine einzige Stärke.« Meine Stimme klingt sehnsüchtig. »Ich bewundere Arin dafür, dass sie sich einfach über das, was andere denken, was man tun sollte, hinwegsetzen kann und ihrem Herzen folgt. Ich wünschte, ich würde das nur ein Mal fertigbringen.« Ich schaue zum Flugzeug vor dem Fenster. »Ich wünschte, ich könnte es jetzt sofort.«
Und dann wird es mir plötzlich klar. Ich könnte es jetzt tun. Ich könnte nicht ins Flugzeug steigen, die Woche am Strand verbringen und mir eine neue Wohnung suchen. Ich fange an, mich selbst aufzuputschen, mein Herz klopft wild. Ich bekomme einen Schweißausbruch bei dem Gedanken, alle Regeln zu brechen. Kevin macht sich offenbar Sorgen über meine stillen, aufgewühlten Gedanken und hebt mein in Falten gelegtes Gesicht mit dem Finger an. In meinem Magen explodiert ein Feuerwerk, und ich kann es nicht ertragen, meinen Blick von diesen tiefgrünen Augen abzuwenden, die mich anziehen wie ein warmer Morgen mit Tau im Wald. Sein ganzer Ausdruck sagt mir, dass er mich gleich küssen wird. Das ist unheimlich. Mein Herz schlägt bis in den Hals. Ich spüre, wie er mir immer näher kommt, und fühle ein wunderbares Kribbeln, wie im schönsten Whirlpool der Welt. Aber wenige Zentimeter vor meinem Gesicht hält Kevin inne und flüstert:
»Jetzt aus dem Flughafen zu verschwinden, das passt nicht zu dir, Ashley, das passt zu Arin.«
Ich muss schwer schlucken. Autsch! »Und das wäre nicht gut?«
»Doch, wenn du dabei von mehr als nur deiner augenblicklichen Befriedigung getrieben wirst. Du scheinst ein höheres Ziel zu verfolgen als nur die Befriedigung deiner unmittelbaren Wünsche.«
Aber im Moment denke ich nur an meine unmittelbaren Wünsche und daran, wie sehr ich mir wünsche, dass dieser Mann mich küsst und alles in mir zum Kribbeln bringt. Es ist ein Gefühl wie das köstlichste Tiramisu und der beste Schokoladenkuchen in einem. Kevin räuspert sich und weicht fast unmerklich zurück, aber genug, dass ich spüre, wie meine Hoffnungen auf eine romantische Szene in aller Öffentlichkeit sich in Nichts auflösen, wie Wolken an einem heißen Sommertag.
»Was machst du in Taiwan?«, fragt er.
Ich richte mich auf und frage mich, ob ich die letzten paar Minuten nur geträumt habe. Ich hätte mein Leben darauf wetten können, dass Dr. Kevin Novak eine Gefühlsregung verspürt hat, dass wir uns einen Augenblick lang verbunden fühlten. Aber andererseits bin ich jetzt seit zehn Jahren mit Ingenieuren zusammen. Kevin hatte wahrscheinlich nur eine leichte Verdauungsstörung.
Ich räuspere mich. »Ich reiche eine Klage ein gegen eine Firma, die unser Patent gestohlen hat. Aber eigentlich geht es darum, zu verhandeln und Geld für unser Patent zu kassieren.« Mitten in meiner sehr sachlich klingenden Erklärung halte ich inne und starre wieder zum Fenster hinaus auf das Flugzeug. »Kevin, wäre es nicht großartig, einfach abzuhauen und nicht nach Taiwan zu fliegen?«
Kevin zieht die Augenbrauen hoch. »Und was würdest du dann tun?«
»Ich weiß nicht«, antworte ich achselzuckend. »In einer knallbunten Blumenbluse durch San Francisco ziehen, auf die Fähre gehen und nach Sausalito fahren, im Marin County, der Geburtsstätte des Mountainbikes, Mountainbike fahren, mit Walkman und Kopfhörern durch die alte Straßenbahn in San Francisco tanzen oder in der Top of the Mark Bar des vornehmen Mark Hopkins Hotels ein Cola Light bestellen.«
»Warum tust du das nicht, wenn du es gerne machen möchtest?«, fragt Kevin.
Ich seufze laut und sorgenvoll. »Weil ich der verantwortungsbewusste Typ bin. Wenn ich mich plötzlich wie mein Bruder oder wie Arin verhalten würde, würde die Welt, wie wir sie
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