LIEBES LEBEN

vieles an ihrem selbstsüchtigen Verhalten nur bewundern, zum Beispiel die Tatsache, dass sie damit immer wieder durchkommt.
    »Nimm’s mir nicht übel, Arin, aber Kevin wird prima ohne mich zurechtkommen. Ich muss selbst auf eine Geschäftsreise gehen und weiß noch nicht, ob ich es Sonntag noch zum Gottesdienst schaffe.« Das Letzte, was ich brauche, ist, um einen Mann herumzuscharwenzeln, der vergisst, wie ich heiße, sobald Arin wieder aus dem Flugzeug steigt und noch dünner ist als vorher, weil sie die ganze Zeit costaricanischen Fraß gegessen hat.
    »Ich verstehe«, sagt Arin. »Ashley, tut mir leid, wenn ich dich irgendwie verärgert habe. Lass uns Freunde sein, ja?«
    Ich muss mir das Lachen verkneifen bei dieser kindlichen Ausdrucksweise. »Okay.«
    Dann höre ich es in der Leitung klicken.
    Ich weiß, warum sie gerade mich bittet, mich um Kevin zu kümmern. Ich bin einunddreißig. Für sie bin ich uralt, fast schon wie ihre Mutter. Ich bin nicht mehr in dem Alter, in dem Arin mich als Bedrohung empfinden würde. Ich höre schon fast, wie sie mich mit Ma’am anredet.
    Komisch, aber ich nehme es Arin nicht übel. Sie hat die Situation durchdacht und sich genau überlegt, wie sie ihre Ressourcen einsetzen will. Aber ich wünschte, sie würde nicht noch herumspielen. Wenn sie Seth will, soll sie ihn nehmen. Er wäre ein grundsolider, wenn nicht sogar langweiliger Ehemann. Aber seine kristallblauen Augen an einem Baby zu sehen wäre das Opfer wert. Vielleicht.
    Wenn sie Kevin will, sollte sie ihn heiraten. Zum Kuckuck, er sieht blendend aus und ist Arzt an der Stanford Uni. Aber beide Männer wegen einer Reise in den Urwald in der Luft hängen zu lassen ist einfach unverantwortlich. Ach wäre ich doch auch noch mal vierundzwanzig. Weiß Arin denn nicht, dass eine andere Schlange mit Größe sechsunddreißig sich ganz schnell um ihre Beziehungen wickeln und alle beide erwürgen kann? Ehe sie es merkt, ist sie einunddreißig und sitzt bei den ewigen Singles, weil ihre Zeit schon lange vorbei ist.
    Der Hausbote kommt, nach ihm kann man die Uhr stellen. Nein, ich habe Es nicht getan, dieses Wochenende. Aber er lernt dazu - er fragt nicht. Seth und Kevin kommen doch auch mal allein klar, oder? Bei all den Schul- und Uniabschlüssen.
    »Ashley, hast du was für die Post?«, fragt Jim wie ein Roboter.
    »Nein, Jim. Ich habe nichts. Wie war dein Wochenende?«
    Er nickt. »Schön. Ich war ein bisschen Angeln und habe mit meinen Kumpels was getrunken.« Er nickt noch mal. »Ja, es war schön. Und bei dir?«
    »Darüber muss ich noch mal mit dir reden. Ich suche nach dem Sinn meines Lebens.«
    Er schüttelt den Kopf. »Ihr Juristen denkt zu viel nach. Mein Sinn ist ganz einfach: angeln und Bier trinken. Was soll sonst noch sein? Man bekommt seinen Lohn und kauft Bier. Wenn man eine Zuzahlung bekommt, kauft man auch noch für seine Freunde Bier.«
    Ja, was soll sonst noch sein? Vielleicht ist das der Sinn meines Lebens, dass ich keinen Sinn habe. Wenn ich mir den Stapel von Patenten vor mir anschaue, scheint mein Sinn in diesem Leben eher praktischer Natur zu sein.

11
    Während die meisten Menschen im Verkehrschaos von Silicon Valley festsitzen, reise ich um die Welt. Ich schaue zum grauen Himmel auf und atme tief durch. Ich habe einen Beruf, von dem die meisten Menschen nur träumen können. Während mein Bruder tagaus tagein dieselbe Bustour fährt, fliege ich in exotische Länder.
    Das sage ich mir immer wieder vor, während ich ins Flugzeug steige, um sechzehn Stunden nonstop Vergnügen der Spitzenklasse zu genießen: keine frische Luft, keine Blondinen und keine Zeitung ohne ausländische Hieroglyphen. Es ist, als sei ich von Außerirdischen entführt worden, die testen wollen, wie sich ihre Nahrung auf mich auswirkt, und mich hinterher mit heftigstem Jetlag wieder in meinem langweiligen Leben in Palo Alto absetzen. Das ist alles andere als normal.
    Der Höhepunkt meiner Reise? Ich habe die Wahl zwischen einer amerikanischen und einer chinesischen Mahlzeit. Aber beides ist Flugzeugessen: entweder Frühstücksfleisch auf ein hartes Brötchen geklatscht oder ein typisches Nudelfertiggericht. Ich beklage mich ja nicht, denn das ist das beste Trainingslager für die kommende Woche. Es ist sozusagen die Grundausbildung für die Delikatessen, von denen meine taiwanesischen Geschäftspartner überzeugt sind, dass sie mir schmecken werden. Das ist sozusagen meine eigene Version von »Fear Factor«, und alles nur für die