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Liebesbisse

Liebesbisse

Titel: Liebesbisse
Autoren: Claire Castillon
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das sage ich nicht, das denke ich nur; doch auch das finde ich nicht besonders gut und lege mir den Finger an die Lippen.
     
    Ich merke, dass mich diese harmlose Äußerung über die Haut einer anderen Frau ausnahmsweise kränkt. Ich will diese Frage beim Abendessen ansprechen und, ausnahmsweise, unsere Vereinbarung, im Beisein der Kinder diskret zu sein, übertreten.
    »Chéri, deine Bemerkung neulich über die Haut des Mädchens fand ich komisch.«
    »Welches Mädchens?«, fragt der Große und holt ein Messer aus der Küche, während der Kleine die Serviette in der Hand zerknüllt.
    »Ich bin nicht dein Saufbruder. Ich finde es nicht richtig, dass du so mit mir gesprochen hast. Seitdem mache ich mir Gedanken. Entschuldige dich.«
    Mein Mann macht Pst, doch der Kleine fragt nach: »Welches Mädchens?«
    »Eines Mädchens aus meinem Büro. Das geht dich nichts an«, sagt mein Mann.
    »Doch das geht uns etwas an!«, schreit der Große. »Oder, Maman?«
    »Natürlich, Kinder. Also … warum hast du dir erlaubt, mich wie einen alten Kumpel zu behandeln?«
    »Chérie, ich weiß nicht, wo das Problem liegt.«
    »Ich auch nicht. Aber ich wiederhole meine Frage: Warum warst du so taktlos und hast gesagt, dass dieses Mädchen zarte Haut hat?«
    »Woher weißt du, dass sie zarte Haut hat?«, will der Große wissen. »Hast du sie angefasst?«
    »Ich verbiete dir, eine andere Frau außer Maman anzufassen.«
    »Nun antworte schon! Mit deinem Schweigen können wir uns nicht zufriedengeben. Komm schon, Chéri! Hast du sie angefasst?«
    »Ja.«
    »Oft?«
    »Nein … Weiß nicht mehr …«
    »Wie – du weißt es nicht mehr? Wer soll es denn sonst wissen?«
    »Ich hasse dich!«, brüllt der Kleine und packt seine Gabel. »Warum hast du sie angefasst?«
    »Zur Begrüßung, manchmal auch zum Abschied. Und einmal habe ich sie angefasst, weil sie ohnmächtig wurde, sie fiel hin, und ich wollte ihr aufhelfen.«
    »Und warum ist sie hingefallen?«
    »Das weiß ich nicht. Hitze, Erschöpfung … Ich weiß es einfach nicht!«
    »Liebst du sie? Wirst du Maman verlassen?«, schreit der Kleine und bedroht seinen Vater mit dem Inhalt seines Bechers.
    »Natürlich nicht!«
    »Aber du erinnerst dich doch, dass du das gesagt hast? Ich habe es nicht erfunden. Darin stimmst du doch mit mir überein, Chéri?«
    »Kann sein.«
    »Erinnerungslücke oder Unaufrichtigkeit? Kinder, ihr seid Zeugen! Papa lügt!«
    »Ich lüge nicht!«, sagt mein Mann und steht vom Tisch auf.
    »Warum stehst du dann auf?«
    »Setz dich!«, brüllt der Große.
    »Chéri, die Frage ist doch: Bereust du deine Taktlosigkeit? Dann entschuldige dich, und es ist vorbei.«
    »Leugnest du es, oder bestätigst du es?«, fragt der Große.
    »Sag mal, geht’s dir noch gut?«, brummt sein Vater.
    »Ja, deinem Sohn geht es ganz ausgezeichnet.«
    »Kommunikation!«, ruft der Kleine aus.
    »Ruhe!«, sagt der Vater und will seinen Finger an die Lippen des Kleinen legen.
    »Fass meinen Sohn nicht an und gestehe!«, schreie ich.
    »Ja, ich habe dieses Mädchen angefasst. Und ich entschuldige mich. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Es war eben so. Ich habe nicht darüber nachgedacht.«
    »Da haben wir’s!«
    Alle drei atmen wir auf.
    »Also, dann reden wir jetzt nicht mehr davon. Ich glaube, euer Vater hat es begriffen. Nicht wahr? Wir räumen den Tisch ab, dann sehen wir uns einen Film an. Papa sucht einen aus.«
    »Nein, ich will!«, sagt der Kleine.
    »Nein, ich!«, quengelt der Große lauter.
    »Pst!«, macht mein Mann.
     
    Und so setzen wir uns alle zusammen mit dem Finger an den Lippen vor den Fernseher. Wir nehmen uns an der Hand, mein Mann und ich, und spüren wieder einmal, wie viel die Kommunikation uns bringt. Das Wichtigste ist, darüber zu sprechen. Danach darf man nicht mehr darin herumstochern. Durch zu viel Haarspalterei kann man nämlich den Boden unter den Füßen verlieren.

Kleine Frau nach Maß
    Sie geht vor mir, hält die Hand ihres Vaters und schaut zu ihm auf wie zu Gott. Bevor sie die Straße überqueren, entfernt er den Schmutz an ihren Füßen, die nackt in kleinen Schühchen stecken. Er spuckt darauf, um sie zum Lachen zu bringen. Sie lacht laut – ordinär, bestürzend für ein Kind ihres Alters. Ich folge ihnen weiter. Sie sagt »mein Papa«, er reicht ihr den Arm wie einer kleinen Dame. Die Kuchen in den Schaufenstern der Bäckereien würdigt sie keines oder kaum eines Blickes, und wenn, dann sieht sie ihn gleich darauf wieder lächelnd an. Und
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