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Liebesbisse

Liebesbisse

Titel: Liebesbisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Castillon
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stellt er ihr eine Frage – bist du müde? Hast du Hunger? Ist dir heiß? Willst du Pause machen –, sagt sie Nein, aus Angst, undankbar zu erscheinen.
     
    Seit Wochen folge ich ihnen. Jeden Tag sammle ich einen neuen Hinweis, um das Zimmer einzurichten, das ihr gefallen wird. Sie weiß sich einem Mann gegenüber zu benehmen. Sie hat eine solide Basis. Sie wird schnell einen Mann verführen, ihr Vater dürfte spüren, dass sie Talent hat, sich hinzugeben. Würde er sie wirklich lieben, hätte er Angst und würde aufhören, ihr beizubringen, gefällig zu sein. Bei ihr spüre ich den Willen, zu gefallen, wider ihre Natur, sie ist bereit, ihre eigenen Wünsche hintanzustellen, vor allem ihren Eifer; sie kann ihren Charakter ändern, nur um ihren Vater zu betören. Den langen Spaziergängen, die er mit ihr quer durch die Stadt macht, würde sie vielleicht einen Spielplatz mit Klettergerüst, Rutschbahn, Sandkasten oder das Schwimmbad, den Zoo und Kaubonbons vorziehen, vielleicht wäre ihr auch ein richtiges Spielzeug lieber als das, das er ihr gerade aus Korken und Blättern gebastelt hat, doch sie beißt mit Appetit in die heißen Maronen und drückt das Spielzeug an sich wie einen kleinen Schatz. Sie geht in Museen, in Hinterhöfe, sie betrachtet in den Auslagen der Spielwarenläden die Bleisoldaten, dreht den Kopf kurz zu den Puppen, doch dann lauscht sie wieder ihrem Vater, der ihr die Schlachtordnung und den Sinn des Krieges erklärt, er singt ihr sogar ein altes Soldatenlied vor und bittet sie, die Straßennamen vorzulesen. Der Vater tut so, als würde er seine Nase an einer Scheibe platt drücken oder als würde er aus dem Stand in einen Haufen Hundekot springen. Sie lacht und sieht nicht, dass ich hinter ihnen bin.
     
    Samstagmittags wartet er vor der Schule auf sie, sie gehen nach Hause und nach dem Mittagessen gehen sie wieder zusammen aus, ohne die Mutter; die Mutter spielt dabei keine Rolle. Er hält ihr sogar den Mantel, zeigt ihr, wie man hineinschlüpft. Ich habe noch nie ein Kind gesehen, das seinen Vater so sehr liebt und ihn so süß »mein Papa« nennt. Sie ist für einen einzigen Mann geschaffen, doch er betrügt sie, so viel ist sicher. Ich kann das sagen, denn ich folge ihnen, ich weiß zum Beispiel, dass die Frauen ihn ansehen, doch die Unbeschwertheit der Kleinen ist attraktiver als die Blicke der Frauen und ihre kleine Hand leichter und dennoch stärker.
    Also hole ich sie von der Schule ab, ich warte auf sie. Ich sage, ich wäre ein Freund ihres Vaters. Auf dem Weg zu unserem Haus erzähle ich ihr von dem kleinen Zimmer, in dem sie wohnen wird, und von der Kinderwelt, die ich für sie geschaffen habe, eine Welt, wo es Puppen statt Soldaten gibt. Sie sagt, sie wolle ihren Vater sehen, bevor sie hineingeht. Sie ruft im ganzen Haus nach ihm, sagt: Papa, mein Papa, bist du da? Und dann mache ich es wie er: Ich kneife sie in den Rücken, um sie zum Lachen zu bringen. Sie geht in meine Wohnung. Und ich schließe ab.
     
    Sie schweigt, zieht eine Schnute, runzelt die Stirn. Ich lasse sie nicht im Unklaren, ich führe sie und verliere sie nicht, ich gebe ihr Gestalt, und bevor sich ihr Körper noch verändert, forme ich die Frau, die sie werden wird, die sie als Jugendliche bald sein wird – in dem kleinen Zimmer, das ich für sie gestrichen habe. Ich verwöhne sie, gebe ihr Zeitungen, Bücher, wir sehen uns Filme an, richtige Spielfilme. Ich mache aus ihr kein ungebildetes Hausmütterchen, blöde Sendungen darf sie sich nicht ansehen, sie hat Verstand, Temperament. Sie ist eine Heranwachsende, wie es anderswo keine gibt.
     
    Später keimt Gewalt in ihr auf, und ich verstehe nicht, dass sie plötzlich sagt, sie würde den Haushalt und die Wäsche nicht machen, die Blumen nicht binden, sie sei nicht mein Dienstmädchen, sie würde auch nicht meine Frau werden, sie sei gerade mal mein Haustier, eine Art Hamster, ein Meerschweinchen, höchstens noch eine Katze. Im äußersten Fall spricht sie beim Essen mit mir, und das nur, weil sie weiß, dass mich ihr voller Mund anekelt. Ihre Pubertät war jedoch angenehm, sie hat die Regeln begriffen, die ich ihr beigebracht habe – man trocknet sich die Hände, ohne das Handtuch zu zerknüllen, man geht, ohne zu trampeln, man stört den Lauf der Dinge nicht, man verschmilzt mit der Luft, man passt sich dem Rhythmus des anderen an, man hat weiches Haar, saubere Zähne, man lächelt und ist nicht schlecht gelaunt, denn dazu hat man gar keinen Grund, wenn man ein

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