Liebesbrand
angegebenen Routen abzugehen, und was hatten die in Weiß aufs Pflaster
gemalten Bärentatzen zu bedeuten? Ich machte kehrt, strich durch die Gassen und schritt den Uferweg am Fluß entlang, am anderen
Ufer sah ich Häuser im Zwielicht, bald würde es stockdunkel werden, und wie gerufen schlug die Kirchenglocke fünf Uhr |90| nachmittags. Eine Stahlbrücke überspannte die Weser, ich machte ein paar Schritte, dann hielt ich inne, Passanten gingen an
mir vorbei und schauten neugierig über die Schulter. Unten, auf einem Rasenstreifen, warfen Menschen Stöckchen, und ihre großen
und kleinen Hunde rasten hinterher. Ein blaßroter Streif am Himmel, in den kahle Bäume ragten. Das Wasser machte mir angst,
die Lichtaugen der Häuser schreckten mich ab, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß die schöne Frau dort drüben lebte,
ich drehte mich um und bog in das erstbeste Gäßchen ein, vor einem Fachwerkhaus blieb ich wie angewurzelt stehen. Auf dem
Balken über dem Türsturz stand geschrieben: An Gottes Segen ist alles gelegen, erbaut im Jahre des Herrn 1643. Überall stieß
ich auf die Herrschaft des Geldes und des Gesetzes, doch manchmal fand ich Zeichen von Menschen, die eine andere Kraft wirken
sahen, deren Vertrauen eine andere Quelle kannte, und ich stand, wie jedesmal, wenn ich auf diese Zeichen stieß, voller Ehrfurcht
da. Für Außenstehende gab ich sicherlich das Bild eines Mannes ab, der in seinen Momenten der Rührung zur Idiotie neigte.
Ich bemerkte eine Touristengruppe im Dunkeln, die Fremdenführerin starrte mich an, ich huschte davon.
Wieder war ich in der Fußgängerzone gelandet, langsam kamen in mir Zweifel auf, vielleicht war es auch die Müdigkeit oder
der Schmerz an meiner Seite, die Rippen taten bei jedem Schritt weh. Ich schaute beiläufig auf die Auslagen eines Juweliers,
und dann, ohne eine Sekunde abzuwarten, rannte ich hinein, es konnte doch nicht sein, es konnte doch nicht so leicht sein,
eine Frau mit Damenfrisur löste sich vom Glasschrank, sie wies eine junge Angestellte an, die Vitrine abzuschließen, sie hatte
den Blick von Goldhütern, die gelernt haben, keinem Menschen zu trauen, der ihren Laden betritt.
|91| Was kann ich für Sie tun?
Sie haben dort im Schaufenster einen Ring, sagte ich, einen Ring mit einem eingefaßten Emailleplättchen.
Sie suchen ein Geschenk für Ihre Frau?
Nicht unbedingt, sagte ich, also, es mag Ihnen vielleicht seltsam vorkommen, aber ich habe vor einiger Zeit eine Frau kennengelernt,
die genau denselben Ring trug.
Den gleichen, sagte sie.
Wie bitte?
Sie trug ganz sicher nicht denselben, aber den gleichen Ring.
Ja, sagte ich, und zufällig weiß ich, daß sie aus Nienburg kommt. Ich will sie wiedersehen. Ich zähle eins und eins zusammen
…
Und komme auf die Summe zwei, sagte sie.
Hören Sie … es ist wirklich dringend.
Sie sind nicht etwa verrückt?
Nein.
Was wollen Sie von der Frau? sagte sie.
Kennen Sie sie oder nicht? sagte ich.
Ich könnte Sie kennen, aber ich halte es eher für unwahrscheinlich.
Es kaufen doch sicher nicht so viele Frauen diesen Ring, sagte ich, Sie müßten nur einen Blick auf Ihre Kundenkartei werfen,
und schon sind Sie mich los.
Junger Mann, sagte sie, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Sie schaute sich nach der jungen Angestellten um, die mittlerweile
neben dem Telefon stand, wahrscheinlich bildete ich es mir nur ein, vielleicht lag ihr Finger schon auf dem Alarmknopf. Ich
machte einen letzten halbherzigen Versuch, die Chefin umzustimmen, sie aber blieb unnachgiebig und wünschte mir noch einen
schönen Abend, ich ging hinaus, stellte mich vor das Schaufenster und blickte auf den Ring, |92| als könnte ich ihm dadurch ein großes Geheimnis entlocken. Aber ich durfte mich nicht länger vor dem Geschäft der Dame aufhalten,
der Wind blies jetzt stärker, und manche Verkäuferinnen rollten die Ständer zurück in die Läden, ich riß mich los.
Was sollte nun folgen, was könnte ich tun? Es war bestimmt zwecklos, durch die Gassen und Straßen der Kleinstadt zu irren,
fast mutlos betrat ich ein Café, das im Stil der charakterlosen Achtziger eingerichtet war, die Kellnerinnen trugen Strohhüte
und Namensschilder an ihren weißen Blusen, und als ich mich halb umdrehte, um bei der mir entgegeneilenden Kellnerin meine
Bestellung aufzugeben, erblickte ich sie, kein Zweifel, sie war es, sie saß allein an einem Tisch im rückwärtigen Teil, beschattet
von der hohen
Weitere Kostenlose Bücher