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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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über dieses
     Mißgeschick ganz bestimmt entmutigt worden. Die Rotgekleidete spielte eine Märchenfigur, sie war die gutherzige Mutter, die
     ihre Tochter dazu anhielt, das Dorf nicht zu verlassen und in die weite Welt zu schweifen, sie sprach zu dieser Tochter in
     der Wohnung, die wir, die Zuschauer, nicht einsehen konnten, das Stück bestand aus einem langen, halbstündigen Monolog, und
     Jarmila trat vor knapp dreißig Zuschauern auf, die sich im Hinterhof eines ehemaligen Adelspalastes im Viertel Zizkov drängten.
     Ich hatte darauf bestanden, zu bezahlen, sie bekam die Hälfte der Einnahmen, und wie sie mir sagte, trat sie an Wochenenden
     fünfmal auf und sprach ihren Text immer auf Englisch, sie mußte wegen der alten poetischen Bilder, die für sie unaussprechlich
     blieben, auf andere moderne Wörter ausweichen, doch im Lärm ihres Lamentos gingen ihre eingeschmuggelten Metaphern unter,
     und es hatte sich bislang kein einziger Zuschauer deshalb beschwert. Sie saß mit gekreuzten Beinen, und ihre beringte Hand
     lag züchtig auf dem weißen Überrock auf, hinter ihr war ein Schwarzweißfoto überlebensgroß aufgezogen, man hatte ein Glasauge
     zwischen |213| die Seiten eines dicken Folianten gesteckt, es glotzte wie ein wissendes Pferdeauge.
    Ich konnte nicht sagen, wieso sie mir gefiel, dies war eine Darbietung für Touristen, das war eine Frau mit einem langen Sprechtext,
     es gefiel mir, es fesselte mich, es fiel mir nicht ein, dies Dramolett für Unvollendete aus bloßer Höflichkeit zu verfolgen,
     und ich entdeckte im Publikum auch Tschechen, die ihre Arme herabhängen ließen, ein junger Mann bohrte seine Fingerspitzen
     in den Handballen, ist es Ergriffenheit? dachte ich, kann das wirklich sein? haben wir uns denn nicht alle verausgabt, waren
     wir denn nicht Fische? Fische spürten nichts, wenn man das Messer ins Fleisch trieb, wenn man hineinschnitt … Ein Fisch hat
     keine Gefühle. Ich geriet langsam zum Idioten.
    Mein Gesicht, mein nicht geschontes Gesicht, brannte und schmerzte, und ich schrieb es der Diskretion der Menschen in meiner
     Umgebung zu, daß sie mich auf den Bluterguß nicht ansprachen. Jetzt fächelte sich der junge Mann Luft zu; eine seltsam feminine
     Geste, und Jarmila stand auf, ihr Hüftpolster löste sich und rutschte herunter, mit einem kleinen Stoß ihrer Ferse entledigte
     sie sich des Hindernisses und schritt herab zu uns, die wir den Blick von ihr nicht abwenden konnten, sie bewegte sich, als
     wäre sie die Herrin in diesem Patrizierhaus, ihre Augen suchten meine Augen, und mir blieb nichts anderes übrig, als zu lächeln,
     sie blieb ernst, vielleicht weil ihre Rolle es verlangte, vielleicht weil es unkeusch gewesen wäre, mich vor allen Leuten
     anzulächeln. Ich spürte das Ende kommen, sie erhob die Stimme und schimpfte über die ungeratene Tochter, die vor ihr, der
     Herrenmutter, fliehen wollte, denn sie glaubte ihr kein Wort, man verläßt nicht die Stadt, in der man groß geworden ist, rief
     sie der versteckten Tochter zu, man verläßt nicht die Stadt, an deren Pflaster |214| man sich die Knie aufgeschürft hat. Es ist ein bloßes Gerücht, daß es einer Pragerin bessergeht, wenn sie die Brücken, die
     Gotteshäuser, die Statuen und Denkmäler, die alten und neuen Autos, die Parkwiesen, die Hunde und Katzen, die dicken Soßen
     auf den Fleischscheiben, die Heuchler, die Aufrechten, die Schneider, die Köche, die Straßenbahnfahrer, die Umzüge und Maskenparaden,
     den achten Mai, den Tag der Befreiung Prags, den fünften Juli, den Tag der Slawenapostel Kyrill und Method, den achtundzwanzigsten
     September, den Tag des Landesvaters Wenzel, das Pilsner Urquell, die Zinnteller, die Granatringe, die Marionetten, den Becherovka,
     die Weißkrautsuppe mit Wurst, die panierten Karpfen, die Liwanzen, den überwundenen Kommunismus, die neue Geldfreiheit, unsere
     schönen geschneiderten Kleider, unsere Schuhe mit den soliden Sohlen, unsere Strümpfe ohne Löcher, die Junker und die Priester,
     die ihre Schlösser und Kirchen zurückbekamen, das teure Mehl, das teure Brot, den teuren Wein, unseren öffentlich verbrannten
     Starketzer Jan Hus, unsere Knechtung, die vielen Überfälle auf unser Land, unsere Kirschbäume, unsere wilden Tiere im Zoo,
     die tausend Lieben und Affären und Eheschließungen im Sommer, der uns gefällt, im Frühling, der uns gefällt, im Herbst, der
     uns gefällt, im Winter, der uns gefällt, unsere wenigen Juden, die uns geblieben sind,

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