Liebesbrand
mußt du sehen, du schläfst auf dem Sofa, das gibt es auch, ich schlafe ohne Geräusche, ich pfeife und murmele
nicht im Schlaf …
Ich schnarche ein bißchen, sagte ich.
Ich stecke mir Wachspfropfen ins Ohr, sagte sie, es ist sehr wahrscheinlich, daß er dich morgen wieder überfällt. Heute ist
er geflohen, also muß er sich morgen rächen.
|220| Der Mann gehört eingesperrt.
Einen Tag wegbleiben – das ist gut für deine Gesundheit.
Meine Einwände prallten an ihr ab, einer Versöhnung von euch beiden stehen viele Kleinigkeiten im Wege, sagte sie, ihr benutzt
mich als Tau, ihr zieht an meinen Armen, ich bin aber kein dickes Seil.
Ich hätte widersprechen können, ich hätte darauf hinweisen können, daß ich es doch war, an dem man zog und riß, sie sprach
immer wieder von Brünn, von der Hotelsuite in Brünn, dort wohin es jene Tschechen verschlug, die aus den Kleinstädten herzogen
und davon träumten, irgendwann in ihrem Leben in Prag leben zu können. Ich gab nach, wir verabredeten uns für neun Uhr am
nächsten Morgen, sie würde draußen vor dem Hotel warten.
Keine Mißverständnisse.
Wir fuhren nicht vom Hauptbahnhof ab, ich dachte zunächst an eine Vorsichtsmaßnahme, ihr vagabundierender Liebhaber hätte
mir dort auflauern können, und vielleicht wäre ich, nach all den Hieben und Tritten, die ich in der letzten Zeit hatte einstecken
müssen, imstande gewesen, einen Mann zu ermorden. Jarmila stieg mit mir in die Straßenbahn, dann in die U-Bahn, und schließlich
kamen wir im Bahnhof Holesovice an, die Züge nach Wien und Berlin standen abfahrbereit. Während der zweistündigen Fahrt starrte
ich aus dem Fenster auf eine immergleiche Landschaft, ich war blind für kleine Wälder, für grüne Hügel, für halbverrostete
Traktoren und verfallene Geräteschuppen, die Bauern in den Dörfern würden, wie anderswo auch, mit ihren klauengleichen Händen
Holzgriffe von Dreschflegeln und Pflugscharen umfassen und am Sonntag dem Ruf des Priesters folgen, ich bin ein Städter, dachte
ich, ich |221| finde keinen Frieden auf dem Lande, und ich werde auch nicht Frieden finden in Brünn.
Als wir dann endlich ankamen, rannte ich auf den Bahnhofsvorplatz und schaute blind auf die Männer und Frauen, die das gute
Wetter herausgelockt hatte, sie trugen große Sonnenbrillen, und sie sahen sich durch die dunklen Hornissenaugen neugierig
um, ich hörte doch tatsächlich deutsche Touristen von einem bezaubernden Städtchen sprechen, ich wußte, es war ungerecht,
ich wußte, ich sollte meine Wut zügeln. Jarmila wies mir den Weg, und wir nahmen die Masarykova-Straße, hier das Kapuzinerkloster,
dort das Franziskanerkloster, und dann standen wir schon auf dem Krautmarktplatz, die Obst- und Gemüsestände waren um einen
Brunnen gruppiert, in der Brunnengrotte war ein Gigant in der Siegerpose erstarrt, Herkules fesselt den Höllenhund, sagte
Jarmila, mir sind sie zuwider, sagte ich, Männer, die dem leeren Himmel die Erschlagenen und Niedergeknüppelten als Opfer
darbringen, immer und überall, sie nahm mich bei der Hand und führte mich zum Alten Rathaus, im Durchgang zum Hof hing an
Ketten ein ausgestopftes Krokodil von der Decke. Sie erzählte die Brünner Sage von dem gescheiten Metzger und dem dummen Drachen,
der die Lämmer auf der Weide fraß und gegen den die Männer machtlos waren, und als sie von den Marktfrauen zu Feiglingen erklärt
wurden, versprachen die Ratsherren hundert Goldmünzen demjenigen, dem es gelingen würde, den Drachen zu erschlagen. An dieser
Stelle der Sage gingen die Meinungen auseinander: Für die einen war es ein großer Sohn der Stadt, der eine List ersann; für
die anderen holten die Brünner Bürger einen Mann von außerhalb, weil sie im wahrscheinlichen Fall seines gewaltsamen Todes
den Klatsch der Marktfrauen fürchteten. Und also verlangte der gescheite Metzger ungelöschten Kalk, den er in eine |222| Ochsenhaut einnähte, und das dumme Krokodil fraß den prallen Sack auf, bekam Durst, soff fast das ganze Flußwasser leer, und
siehe, sein Bauch platzte auf. Der Metzger wurde belohnt, bekam die schönste Marktfrau zum Weibe, und auch wenn er immer nach
Fleisch und Blut stank, wurde er bis zum Ende seiner Tage als Drachentöter bewundert – weshalb es den Ratsherren angeraten
schien, ihn auf dem Höhepunkt seines Ruhms auf den Grund des Flusses Svitava zu befördern, das aber ist ein Kapitel der inoffiziellen
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