Liebesdienst
darin, bei ihr zu bleiben. Aber dich verlässt er nicht. Dich liebt er.« Zum Beweis dafür, obwohl sie ihn nur noch selten sah (es musste heimlich geschehen, alles immer nur heimlich, weil seine neue Frau nicht ständig darauf gestoÃen werden wollte, dass es vor ihr schon mal eine Frau in seinem Leben gegeben hatte), zahlte er dafür, dass sie eine gute Schule besuchen konnte, dass sie Gesangs- und Ballettunterricht nehmen konnte, dass sie vor ihrer Mummy und der Armee neuer Daddys so weit fliehen konnte wie eben möglich, dass sie sich während ihres Studiums ein eigenes Auto leisten konnte, dass sie nach ihrem Abschluss ein Jahr lang eine Wohnung in Venedig mieten konnte, dass sie sich für jeden Kunstkurs in Florenz, Spoleto oder Siena einschreiben konnte, den sie sich ausgeguckt hatte, wenn sie nur den Wunsch äuÃerte â kurzum dafür, dass sie das Leben führen konnte, das ihr behagte.
Verschwiegen und wohlbehütet wuchs sie auf. Sie sah gut aus, trug immer teure Kleidung, die erwachsene Variante des Versteckspiels, hielt sich fern von anderen â manchmal von sich selbst â und hatte alle Zeit der Welt.
Schon ihr Aussehen verhinderte, dass sie uneingeschränkt und in alle Ewigkeit sich selbst gehörte. Freunde drängten sich ihr auf, und jeden neuen versteckte sie vor den anderen; dann folgte der erste Ehemann und anschlieÃend â wiederum zunächst heimlich â der zweite. Sie betrachtete sich nicht als unzüchtig, nur als schweigsam. Was sie tat, ging niemanden auÃer ihr etwas an. Die Privilegien jedoch, an die ihr Vater sie gewöhnt hatte, blieben auf die eine oder andere Art bestehen. Aus dem einfachen Grund, weil sie bereits verwöhnt aussah, konnte man Marisa nicht in die Augen schauen, ohne den Wunsch zu verspüren, sie noch mehr zu verwöhnen. Ebenso konnte man nicht mit ihr zusammen sein, ohne das Gefühl zu haben, dass man sie jemand anderem wegnahm, selbst wenn man alles Recht der Welt hatte, mit ihr zusammen zu sein. Manchmal konnte ich mich in Marisas Gesellschaft nicht einmal des Eindrucks erwehren, dass ich sie mir selbst wegnahm.
Zur Feier dieses Diebstahls überschüttete ich sie, so wie jeder andere auch, mit Geschenken â Parfüm, Schmuck, Unterwäsche, was immer man kauft, um das Verbotene aufrechtzuerhalten.
Doch jedes Mal litt ich unter dem Gefühl, wieder nicht das ihrem Temperament angemessene Geschenk gefunden zu haben. Mit den grauen Ringen unter den Augen, dem nachdenklichen Gesichtsausdruck und der römischen Nase, wie man sie an Statuen von Göttinnen in italienischen Gärten findet, wirkte Marisa, mochten ihre Röcke noch so eng sein, für Parfüm oder Dessous zu ernst. Wären Platons Dialoge nicht vielleicht ein besseres Geschenk?, fragte ich sie mal. Natürlich sagte sie, sie wolle eigentlich gar nichts geschenkt haben, aber ich gewann den Eindruck, das ideale Geschenk wären Platons gesammelte Dialoge und feine Damenunterwäsche gewesen.
Sie hatte es nie nötig gehabt, für sich selbst zu sorgen, woraus sich ein Problem ergab, das auch durch noch so viel ehrenamtliches Engagement nicht zu lösen war. Mühelos hätte sie die Tage der Woche mit den guten Taten, die ihre Moral ihr abverlangten, ausfüllen können, doch dann hätte sie nicht genügend Zeit gehabt, an sich selbst zu arbeiten. Und wenn sie schon nicht gut zu sich selbst war, wie sollte sie dann anderen Menschen Gutes tun?
Sie beklagte sich nicht, murrte nicht, haderte nicht, sie grübelte nur viel. Für Männer eine Provokation. Frauen, die noch anderes im Sinn haben als Männer, sind eine Kränkung der männlichen Eigenliebe. Das gilt besonders für die Raubtiere unter den Männern, die selbst viel grübeln, die Zeit haben, sich in Kunstgalerien und Museen herumzutreiben und Löcher in die Luft zu gucken. Sie warten nur darauf, dass ihnen so eine Frau über den Weg läuft, damit sie ihre konzentrierte Miene erschüttern können. Aber das hieÃe, Marius vorzugreifen.
Wo es nicht um Männer geht, zahlen diese Frauen, für die persönliche Weiterentwicklung eine Notwendigkeit und Erfolg ein Ansporn ist, einen hohen Preis für ihre Schönheit und ihre Fortüne. Hätte Marisas Kleidung nicht so ausgesehen, wie von einem Handschuhmacher für sie angefertigt, und hätte sie nicht in jedem Mann dem abwesenden Daddy zu gefallen gesucht, sie
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