Liebesdienst
war sie fiebrig und zu müde für dieses eheliche Treiben. Zuerst dachte ich, es wäre nur ein Schub der Schmetterlingskrankheit, für die sie anfällig war. Mattigkeit, Verlust der zeitlichen Orientierung; dabei wirkte sie nicht unbedingt unglücklich, sondern als hätte sie das Glück irgendwo verlegt, könnte sich aber nicht daran erinnern, wo. Das Fieber allerdings war akut. Und sie schwitzte auch nicht mir zu Gefallen. Der Hoteldirektor rief einen Arzt, der sie auf unserem Zimmer untersuchte. Der Arzt war Kubaner mit einem gierigen Mund und Pferdegebiss und mit übertrieben guten Manieren. Ich fragte ihn, ob ich den Raum verlassen solle. Als er meine Besorgnis sah, legte er einen Arm um meine Schulter. »Bleiben Sie«, sagte er. »Holen Sie sich einen Drink. Und schenken Sie mir auch einen ein, während ich mich um Ihre Frau kümmere.«
Er hatte schöne schmale Hände, wie mir aufgefallen war, mit einem zotteligen seidigen Fellbesatz auf jedem Knöchel und Eheringen an beiden kleinen Fingern. Ich goss uns ein Glas ein, lieà mich in einem Lehnstuhl nieder und beobachtete ihn, wie er bei Marisa Fieber maÃ, mit einer kleinen Lampe in ihr Ohr leuchtete, ihr in den geöffneten Mund schaute, unter ihre Armbeugen fasste und ihre Brust untersuchte. Es war ein entscheidender Moment. Nicht der Auftakt einer neuen Sinneswahrnehmung, sondern eine wahrhaftige Offenbarung, so als käme man aus einem dunklen Raum und träfe auf die gleiÃende Sonnenkugel. Wer immer ich vorher gewesen war â welche eigentümlichen Schwelgereien mich in puncto Liebe und Verlust unter anderen Männern auch immer ausgezeichnet hatten (wobei ich mich eigentlich nie als etwas Besonderes betrachtet hatte, höchstens dazu neigend, allzu rasch mein Herz zu vergeben und zum Schluss von der Leidenschaft nur das Leid abzubekommen) â, jetzt hatte alle Ungewissheit ein Ende: Ab jetzt war ich ein Mann, der durch den Anblick der Hand eines anderen Mannes an der Brust der Frau, die er liebte, erregt wurde. Wenn ich fortan die Wahl hätte, würde es mir lieber sein, Marisa überlieÃe ihre Brüste einem anderen Mann als mir. Das sollte in Zukunft die Kondition, das Maà meiner Liebe für sie sein. Mit einem Schlag war ich von der Faszination, die Freddys Eifersucht auf mich ausübte, geheilt. Ich war befreit, entlassen in meine eigene.
Man spürt es, wenn man den Foltergarten der eigenen gestörten Wesensart betritt. Man erkennt das prächtige Blätterwerk, fantastisch und wuchernd. Man kennt den Geruch. Den heimatlichen Geruch.
»Zu viel Sonne«, erklärte der Arzt, sah sich zu mir um und lieà seine Hand dabei länger als nötig auf der Brust meiner Frau ruhen, sodass sich unsichtbar unter dem Handteller ihre Brustwarze versteifte.
Warf er mir einen Blick zu, in dem das Eigentumsrecht an diesen Brüsten für kurze Zeit von mir auf ihn überging, oder bildete ich mir das nur ein? Ich bin nicht blind für die Machenschaften weiblicher Brüste; ich wusste nicht erst seit gestern, dass Marisas Brüste ganz allein Marisas Eigentum waren und niemandem sonst gehörten. Doch Vertrautheit nährt die Illusion, und sei sie noch so unangebracht, man hätte Besitzanspruch auf den vertrauten Gegenstand, und vielleicht war es nur das Recht auf diese Vertrautheit, das auf den Arzt überging. Der Anblick seiner seidenfellbesetzten Finger auf ihrer Brust löste in mir jedenfalls den Wunsch aus, er möge sie noch auf andere Stellen ihres Körpers legen, ja, sie in den Körper einführen. Ein noch ungerichtetes Verlangen, das mit der Zeit eine situationsunabhängige, kultiviertere Ausprägung annahm. Marisa brauchte nicht im Fieber oder anderweitig einem fremden Mann ausgeliefert zu sein. Wir brauchten nicht in Florida zu sein und den Geruch der Everglades in der Nase zu haben. Und am Ende brauchte ich auch nicht mit meinen eigenen Augen zu sehen. Davon zu hören, davon zu erfahren, und zu guter Letzt war, nur davon zu wissen, genug.
AuÃer den beiden Nachmittagen in der Woche, die sie der Auspreisung von Kunstbänden in der Oxfam-Buchhandlung opferte, den vier von fünf Freitagabenden, an denen sie den hektischen Dienst bei der Telefonseelsorge versah, den gelegentlichen Führungen durch die Wallace Collection, bei denen sie weiblichen Besuchern aus der Provinz gegenüber verschwieg, was Fragonard ihrer Meinung nach
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