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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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geben. Ein Keil treibt nicht unbedingt den anderen aus.
    Mit Fragen hielt ich mich zurück. Ich hatte Marisa einigermaßen mühelos von ihrem Mann losgelöst, mochte sie ihn auch immer noch bewundern, aber ich war nicht so eitel, den Erfolg allein meiner grandiosen Unwiderstehlichkeit zuzuschreiben. Entweder hatte sie sich unerträglich einsam mit ihm gefühlt, in dem Fall würde ich für Ausgleich sorgen; oder sie hatte sich angewöhnt, woanders Trost zu suchen, in dem Fall wollte ich lieber noch nicht erfahren, mit wem. Das heißt, mit wem außer mir.
    Ich war vorher noch nie verheiratet gewesen. Faith war nicht das letzte Mädchen oder die letzte Frau, um die ich heiße Tränen vergossen hatte. Die Erinnerung an die Abfuhren blieb im Gedächtnis, die Erinnerung an die Frauen nicht. Was das zu bedeuten hatte, weiß ich nicht. Entweder war ich doch nur ein lauwarmer Liebhaber, den allein der Schmerz, den die Frauen ihm bereiteten, heiß machte, oder aber ich hatte mich die ganze Zeit für Marisa frei gehalten. Wenigstens galt es keine Gefühle ehemaliger Angetrauter oder Kinder aus früheren Verbindungen zu berücksichtigen. Das Haus in Marylebone, seit Generationen in Familienbesitz, Zeuge der gescheiterten Ehen, die mein Vater und vor ihm sein Vater und vor diesem dessen Vater eingegangen waren – gescheitert deswegen, weil sie nicht die Frauen gefunden hatten, die entspannt damit umgehen konnten, wenn ihre Männer einen Tripper ins Haus einschleppten –, gehörte jetzt mir und wartete darauf, von der neuen Mrs Quinn mit Leben erfüllt zu werden. »Wenn du einen Tripper ins Haus einschleppst, bleibt von dir und dem Haus nichts mehr übrig«, sagte Marisa lachend, als ich sie in die Geschichte unseres Stammsitzes einweihte. Sonst hatte sie nichts dagegen, bei mir einzuziehen.
    Marylebone war schon immer ihr Heimatviertel gewesen, insofern war der Umzug nur ein Katzensprung für sie, Einpacken auf der einen Straßenseite, Auspacken auf der anderen. Alles Gewohnte, Annehmlichkeiten wie Pflichten, war hier versammelt. Ihr Friseur und der Oxfam-Buchladen, in dem sie arbeitete, aus Gewissensgründen. Ihr Akupunkteur und die Telefonseelsorge, für die sie den Freitagabend opferte. Das Nagelstudio und die Wallace Collection, der sie sich ehrenamtlich als Kunstführerin zur Verfügung stellte, wenn andere krankheitsbedingt ausfielen. Auch ohne mich hatte sie die Mittel, sich zu verwöhnen, doch stets hatte sie das Gefühl, Wiedergutmachung leisten zu müssen. Mit der Wohltätigkeitsorganisation für den Friseur, mit dem Bettler für die Maniküre. So hielt sie die Waage der sozialen Gerechtigkeit im Gleichgewicht. Der Verkäufer der Obdachlosenzeitung Big Issue konnte sich freuen, wenn er Marisa beim Verlassen ihres Lieblingsschuhgeschäfts erwischte. Ich kann dazu nur sagen, dass sich jeder Mensch freuen konnte, wenn er Marisa erwischte, ganz egal wo oder bei was.
    Unsere Trauung vollzogen wir in aller Stille im nächsten Standesamt – die Reste unserer beider Familien hatten für uns keine Bedeutung – und begaben uns auf Hochzeitsreise nach Florida. Warum Florida? Weil wir das Gefühl hatten, dass wir uns nach über einem Jahr nahezu keuscher Gespräche die Sümpfe der Sinnlichkeit schuldeten. Wir wollten die Everglades riechen, wollten uns schweißüberströmt in den Armen liegen.
    Fünf Tage nach Antritt unserer Hochzeitsreise in die Feuchtgebiete wurde Marisa krank. Wir hatten uns angewöhnt, jeden Nachmittag ins Hotel zurückzukehren, wo ich zuerst Marisas verschwitzten Körper aus den Kleidern schälte. Dann duschten wir uns gegenseitig den nach faulen Eiern riechenden Gestank der Mangroven ab, gingen ins Bett und blieben so lange dort, bis es Zeit wurde für Marisa, sich für das Abendessen in eine noch transparentere Hülle zu werfen. Ich kenne keine Frau, der tropische Textilien besser stehen als Marisa, an manchen Frauen wirken sie bauschig, manche verschwinden unter den Falten, Marisa trug sie wie eine zweite Haut. Sie daraus hervorzuschälen war daher eine langwierige und mühevolle Prozedur, in deren Verlauf ich mich manchmal auf die Bettkante setzen musste, um mich auszuruhen. Dabei musterte ich Marisa, das Kleid über dem Kopf, noch verheddert in den Ärmeln, die glänzenden Waden und den Bauch ungeschützt meinem Blick ausgeliefert. Am Abend des fünften Tages

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