Liebesdienst
alten Zeitungen gehüllt â und stellte fest, dass das feuchte Klima von Shropshire, so wie es dem Professor zusetzte, den Büchern schon lange zugesetzt und ihre illustren Seiten in Kompost verwandelt hatte.
»Oh«, sagte er, die Stimme noch mäuschenhafter als zuvor, als hätte ihm wieder jemand auf den Schwanz getreten. »Die werden Sie dann wohl nicht haben wollen.«
Doch selbst in einer so schlimmen Enttäuschung wie dieser lag für ihn eine Erleichterung. Er lachte das trockene, knöcherne Lachen eines alten Mannes. Ganz einfach, ich würde seine Bücher nicht mitnehmen, weil es sich nicht lohnte.
Ich fasste ihn zum Trost am Arm. Ich war froh, mit leeren Händen zurück nach London zu fahren.
Danach schickte er mir gelegentlich noch GruÃkarten, äuÃerte Schuldgefühle und Dankbarkeit, ausreichende Motive für ihn, neue Bücher aus unserem Katalog zu bestellen â einen seltenen George MacDonald, Christina Rossetti oder »Monk« Lewis. Nach seinem Tod sorgte der Nachlassverwalter dafür, dass wir den kleinen Bestand seiner Bibliothek, der von Wert war, erwerben konnten, und zufällig waren es genau die Bücher, die er kurz zuvor bei uns gekauft hatte. So schlieÃen sich die Kreise. Aber ich nahm nicht aus geschäftlichen Gründen an seiner Beerdigung teil, manchmal muss man sich von der Stimme seines Herzens leiten lassen. Und meine führte mich zu Marius. Man könnte also sagen, dass ich doch nicht mit leeren Händen nach London zurückfuhr.
*
Während Marisa sich erholte, vermied ich es bewusst, mit ihr über den kubanischen Arzt zu sprechen. Womöglich hätte sie sich gar nicht an ihre Krankheit oder an den Arztbesuch erinnert und gar nicht gewusst, wovon ich sprach. Wir flogen zurück nach England, und sobald Marisa zu Hause wieder bei Kräften war, brachen wir erneut zu einer Hochzeitsreise auf, diesmal nach Suffolk. Nach den Sümpfen von Florida stand uns der Sinn nach Kühlerem und Erfrischenderem. Ich bin kein Anhänger der Theorie, die Ehe sei wie ein Wechselbad, aber wir mussten erst wieder einen klaren Kopf bekommen.
Was mich betrifft, gelang mir das nicht. Heute habe ich meinen Frieden damit gemacht, dass ich nie einen klaren Kopf haben werde, dass dort oben nie mehr Ruhe und Ordnung herrschen werden. Damals jedoch hat mich die mentale Bedrängnis, in die ich geriet, immer wenn ich meine Frau umarmte, beunruhigt. Beim Thema Geschlechtsverkehr bin ich Moralist. Man schläft mit dem, mit dem man schläft, das war immer mein Credo. Es ist nicht unbedingt nötig, dass man jede Frau, die man in sein Bett einlädt, auch liebt, doch sollte man ihr die Ehre erweisen, jedenfalls solange man mit ihr schläft, nicht an eine andere Frau zu denken. Taucht das Bild einer anderen Frau vor einem auf, sollte man sich zurückziehen und entschuldigen. Meine Moralvorstellungen jedoch gerieten ins Wanken, als nicht das Gesicht einer anderen Frau vor mir auftauchte, sondern das eines anderen Mannes â nicht eines Mannes, den ich lieber geküsst hätte als Marisa, sondern von dem ich wollte, dass Marisa ihn lieber geküsst hätte als mich.
Mit groÃer Willensanstrengung kämpfte ich gegen dieses Phantombild an. Gleich zu Anfang unserer zweiten Hochzeitsreise gab es sich mir zu erkennen, eigentlich schon, als wir das erste Mal in Suffolk miteinander schliefen, in einem Bett aus Eisen, von dem aus wir das unendliche graue Meer sehen konnten oder vielmehr hätten sehen können, wenn nicht ein anderer zwischen uns getreten wäre. Morgens, manchmal schon bevor Marisa sich auch nur im Bett gerührt hatte, machte ich lange Spaziergänge. Ich war davon überzeugt, dass der Wind, der am Himmel von Suffolk so erstaunliche Veränderungen auszulösen vermochte, auch meinen unerwünschten Gast wegfegen würde. Doch sobald ich wiederkam, mich zu Marisa legte und mit meinem Gesicht nahe an sie heranrückte, war er wieder da, der kubanische Arzt mit seinem Pferdegebiss. Sosehr ich Marisa auch an mich drückte, stets gelang es ihm, seine seidigen Pfoten zwischen uns zu schieben und sich zu ihren Brüsten vorzutasten.
Es war nicht das Vorgehen eines Mannes, der mich ersetzen wollte, das möchte ich hier betonen. Die Rolle, die er spielte, war eher die eines Assistenten, so wie groÃe Zauberkünstler Assistenten haben. Aber will nicht jeder Assistent eines Zauberkünstlers am
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