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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Ende auch Magier werden?
    *
    Da ich mein persönliches Erlebnis mit dem kubanischen Arzt Marisa gegenüber nie erwähnt hatte, sah ich jetzt keinen Grund, seinen Geist heraufzubeschwören. Obwohl ich sie praktisch dazu überredet hatte, aus ihrer Ehe auszubrechen, und obwohl das Gespräch unser Medium war, Worte unsere Streicheleinheiten, gab es manche Dinge, die anzusprechen wir zu diskret waren. Es war nicht unsere Art, sich unmittelbar verbal über unsere Gefühle auseinanderzusetzen. Unsere Beziehung war deswegen nicht kühl, ganz und gar nicht. Im Unausgesprochenen liegt eine Leidenschaft, von der Paare, zwischen denen in erotischen Dingen große gegenseitige Aufrichtigkeit herrscht, keine Ahnung haben. Unsere Blicke trafen sich verstohlen, auf Zeichen hin, nur angedeutet, kaum wahrgenommen, und im Austausch von Vermutungen und Intuition eroberten wir uns unseren Raum.
    Wenn ich über die »Anwesenheit« des kubanischen Arztes in unserem Bett gesprochen hätte, wenn ich Marisa vorgeschlagen hätte, einen anderen Mann zu suchen, der das mit ihr machen würde, was der Arzt bei der Untersuchung mit ihr gemacht hatte, oder wenn ich ihr gesagt hätte, sie solle sich auf eigene Faust einen anderen Mann suchen – ich glaube, dann hätte ich sie verloren. Marisa hatte einen Zug ins Strenge, vor dem ich mich fürchtete. Nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen: Ich liebte sie deswegen. Es erregte mich, mit einer schönen Frau verheiratet zu sein, die auch Moralphilosophin war. Nicht jedem ist es beschieden, gleichzeitig neben Salome und Sokrates zu liegen. Der Nachteil, wenn man es so nennen kann, war, dass ich es mir gründlich überlegte, ob ich ihr die Kloake meines Gehirns öffnen sollte.
    Es galt, sich auch vor mir selbst zu schützen und vorsichtig mit der Erinnerung an den kubanischen Arzt umzugehen. Ich wollte das schwache Verlangen in mir, das sich erst noch entfalten musste, um zu einem alles verschlingenden Appetit anzuwachsen, nicht gleich abtöten.
    Manche Wünsche sind zu flüchtig und unbestimmt, um sie befriedigend in Worte kleiden zu können. Spricht man sie aus, verlieren sie das Beklemmende; nennt man sie beim Namen – falls man ihn kennt –, verzichtet man auf die Schwingungen zwischen dem Möglichen und dem Undenkbaren, zwischen dem, was man in seiner Fantasie streift, und dem, was man befürchtet, dass es sich in Wirklichkeit ereignen könnte, oder, schlimmer noch, nicht ereignen könnte. Wenn diese Schwingungen Marisa und mich leichtsinnig gemacht haben, dann auch umso verliebter. Aber vielleicht sollte ich hier nicht für Marisa sprechen. Es gehörte zu unserer Verschwiegenheit, nie genau zu wissen, wie verliebt der andere war. Mich jedoch warf diese Unwissenheit darüber, was erlaubt war und was nicht, was Marisa von meinem seltsamen Wesen hielt, welche meiner Ängste und Einbildungen ihr bewusst waren und welche auszuleben sie billigen würde, in einen Wahnsinn aus Warten und Wundern, den normale Menschen als Knechtschaft und nicht als Liebe empfunden hätten, der aber für mich das Idealbild der Liebe war, Liebe ohne Netz und doppelten Boden, Liebe in ewiger Spannung.
    Es gibt Männer, in denen der masochistische Impuls die primitivsten Formen annimmt. Sie wünschen sich, von der Frau geschlagen und misshandelt, ins Gesicht gespuckt oder wie ein Kind verprügelt zu werden. Mir erging es anders. Auf Marisas Schoß hätte ich jede Bestrafung gerne entgegengenommen, doch ich wollte mich ja in ihrem Verstand einnisten und dort, in der wortlosen Stille, ihrer schlimmsten Gedanken harren.
    Ich glühte vor Spannung. Meine Mitmenschen, denen ich in der unpersönlichen Atmosphäre der Arbeit über den Weg lief, bemerkten meine veränderte Erscheinung. Plötzlich suchten die Angestellten meine Gesellschaft und unterhielten sich morgens lieber mit mir, als gleich in ihre Bürobuchten zu huschen. Es war vermutlich die Wehrlosigkeit, die sie in mir sahen, die Aura des Ungeschützten und Hilflosen, die wir bei Kindern so lieben und bei Verliebten, als steckten sie noch in ihrer Babyhaut und warteten darauf, dass ihnen die nächste Schicht wächst. Ist nicht genau das gemeint, wenn wir von Schönheit reden? Eine Lichtdurchlässigkeit des Fleisches, die den Blick auf die bibbernde Nacktheit unserer Seele freigibt.
    Meinen Vater besuchte ich selten, wir mochten uns nicht. Ich hatte

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