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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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entschieden hat, dass die Bibliothek des Industriellen, ohne sie inspiziert zu haben, für uns nicht infrage kommt, packt mein Großvater seinen Koffer und kehrt nach London zurück.
    So hätte denn, wenn auch nur ein Funken Wahrheit in alldem steckt, ein Mitglied unserer Familie dem Schöpfer des Leopold Bloom um ein Haar den sehnlichen Wunsch erfüllt, ein anderer Mann möge seiner Frau beiwohnen.
    Ob Joyce es daraufhin bei anderen Männern noch mal versucht hat, oder ob er das schlicht erfinden musste, bleibt eines der literarischen Geheimnisse, die auch durch noch so aufmerksames Lesen und Wiederlesen des Ulysses nicht gelüftet werden.
    *
    Schwer zu sagen, ob mein Großvater es nicht noch in die Literatur geschafft hätte, wenn er die Nerven behalten und es nur ein wenig länger in der Schweiz ausgehalten hätte. Vielleicht hat er wenigstens eine Aufführung von Joyces Verbannten gesehen, einem Stück, in dem der Autor die »gebremste Lust« untersucht, die einen Ehemann zum Akteur seiner eigenen Schande werden lässt.
    Wer weiß – vielleicht hätte Joyce ihm einen Platz neben Nora im Parkett zugewiesen.
    Marisa und ich sahen eine Produktion des Stücks in Dublin, wohin wir wegen eines Dinners der Vereinigung der antiquarischen Buchhändler gefahren waren – zufälligerweise kurz nach unserem Othello -Abend, eine Koinzidenz auch deswegen, weil der Othello für Joyce eine Anregung gewesen war und er dem Stück offenbar einiges verdankt.
    Meine Frau in Theaterstücke über freiwillig eifersüchtige Ehemänner zu führen, war keineswegs Bestandteil einer Kampagne, mit der ich ihr zeigen wollte, wie es um mich stand. Die offensichtliche Themenkontinuität ist leicht zu erklären: Eifersucht ist ein zentrales Thema der Literatur. Mehr noch, sie bewirkt die Entstehung von Literatur schlechthin. Vielleicht nicht aller Literatur, aber der besten. Jedenfalls der besten von Männern geschriebenen Literatur. Der Schriftsteller (nach Henry James ein Mensch, »dem nichts entgeht« und dem daher, wenn er wirklich gut ist, alles widerfährt) versetzt sich in die Lage eines Beobachters, so wie Gott, der unsterbliche Gehörnte, seit dem Moment, da ER das Licht von der Finsternis schied, den dauernden Verrat seiner Geschöpfe beobachtet. In Kenntnis unserer Natur, nicht minder unserer Neigung, niedrigeren Göttern hinterherzulaufen, entpuppt sich Jehovas kreativer Gründungsakt im Wesentlichen als ein masochistischer. Die Kreativität des Schriftstellers wirkt ganz ähnlich, liebevoll und detailliert arbeitet er die Züge der Treulosigkeit in den Figuren, die ihm ans Herz gewachsen sind, heraus. Anna Karenina, Madame Bovary, Tess of the D’Urbervilles, Molly Bloom – was haben alle gemein? Schlicht dies: Jede fügt sich der penibel registrierten Verführung seitens unwürdiger Männer und unterwirft im Verlauf ihren Schöpfer, der sie mehr liebt, als je ein Mann sie lieben könnte, den Qualen der Verdammnis.
    Schweigend verfolgten wir die Aufführung der Verbannten, tauschten zwischendurch keine Blicke, obwohl die Komik des lüsternen Frage-und-Antwort-Spiels des Ehemanns sehr viel hergab (»Auf deinen Mund?«, »Lange Küsse?«, »Und dann?«), das, hätte Marisa schon ein wenig mehr von mir gewusst, einiger Blicke würdig gewesen wäre. Die Schlusszeilen des Stückes führten uns jedoch wieder an den Punkt, wo wir zuvor aufgehört hatten. »Ich habe meine Seele für dich verwundet – eine tiefe Wunde des Zweifels, die nie geheilt werden kann. Ich kann’s niemals wissen, niemals auf dieser Welt. Ich will auch nicht wissen noch glauben. Es ist mir gleich. Nicht im Dunkel des Glaubens begehre ich dich. Sondern in rastlosem ständigem verwundendem Zweifel.«
    Wir sprachen kein Wort, aber unsere Blicke trafen sich in einer Nacktheit des Erkennens, die zwischen uns selten war. Ein verwundender Zweifel .
    Marisa fragte mich nicht, ob es dieser Zustand des verwundenden Zweifels sei, nach dem mich zu sehnen mein Schicksal war. Und ich fragte sie nicht – wie konnte ich? –, ob sie die Umstände, die mir mit dieser Wunde zu leben erlaubten, herstellen oder zulassen würde wie die Frau in Joyces Stück. Sie hätte es mir sowieso nicht verraten. Wie gesagt, sie behielt viel für sich. Sie war nicht unehrlich, nur den Begleiterscheinungen ihres verschwiegenen

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